Text: Dagmar Ellen Fischer | Foto: Lea Fischer
Volkslieder sind out! Aber Rudelsingen (heißt tatsächlich so!) als Karaoke-Variante geht neuerdings wieder. Wieso eigentlich? Einer, der dem deutschen Volk seit Jahren aufs Maul schaut, ist Rainald Grebe. Der Liedermacher und Autor stellte fest, dass in anderen Ländern Junge und Alte spontan „einen Sack voll“ Lieder gemeinsam schmettern, hierzulande aber kaum jemand weiß, wie sich „Hoch auf dem gelben Wagen“ in der übernächsten Zeile hinten reimt. Also machte er sich auf die Suche nach den letzten Bastionen deutschen Liedguts. Das Ergebnis der musikalischen Forschungsreise nimmt ab Samstag im Thalia Theater Bühnengestalt an und heißt „Volkslieder“.
Deutsche singen (nur) noch beim Fußball im Stadion, am Ballermann auf Mallorca und als Kleine im Kindergarten. Also gibt es in Grebes abendfüllender Mischung aus Konzert und Inszenierung Kinder-, Animations- und Fußballlieder, ergänzt um das politische Lied und die Kategorie Beschallung. Auf der Bühne beginnt es idyllisch am Lagerfeuer, ein paar Deutsche wollen singen, „können aber nicht, weil es keinen gemeinsamen Kontext mehr über Volkslieder gibt“, so Grebe. Die gerieten durch die Nazis derart in Verruf, dass niemand sie mehr in den Mund nehmen will. „Volkslieder, die wir kennen, sind sowieso Kunstlieder von Dichtern aus dem 19. Jahrhundert und stammen gar nicht aus dem Volk“, weiß der Komponist Jahrgang 1971. Zeit für neue Lieder also, die wirklich vom Volk kommen? „Ja, zum Beispiel ‚Guten Morgen, liebe Sorgen‘ ist ziemlich genial, das passt für die Hälfte der Bevölkerung.“ Es wäre doch toll, wenn „man für emotionale Standardsituationen ein Lied auf den Lippen hätte, für den Gang zum Baumarkt beispielsweise gibt es noch nichts“.
Das könnte sich nun ändern. Grebe komponiert Allgemeingültig-Emotionales frisch für die Uraufführung im Thalia Theater. Mit Liedern wie „Thüringen“ und „Brandenburg“ hat er ja eine musikalische Landkarte in Arbeit, auf der Hamburg noch fehlt. Sicher ist: Ein speziell für „Volksmusik“ gegründeter Hamburger Bürgerchor singt, „wir haben jeden Zehnten am Hamburger Hauptbahnhof angesprochen“, wird Grebe im Stück behaupten – tatsächlich gab es ein Casting, in dem Wert auf Internationalität gelegt wurde, damit „sich deutscher Text mit albanischen Rhythmen mischt!“ Außerdem werden sechs Thalia-Schauspieler mitmischen, sie liefern Außenberichte in eingespielten Filmen, zum Beispiel vom erfolgreich tourenden Finnischen Schreichor (auch den gibt’s tatsächlich!). Live sind neben den 16 Bürgerchor-Mitgliedern natürlich Rainald Grebe solistisch und seine dreiköpfige Kapelle der Versöhnung zu hören. Und vielleicht das singende Publikum als Volk …
Vorstellungen: 23.3. (A-Premiere), 24.3. (B-Premiere), 27.3., 4.4., 12.4., 20.5. u. 9.6.
jeweils 20 Uhr (20.5. + 9.6.: 19 Uhr), Thalia Theater