Text: Dagmar Ellen Fischer | Foto: Theater Triebwerk
Töne sind auch nur Lebewesen. Sobald ein Musikinstrument einen Ton erzeugt, fliegt der umher, macht sich selbständig und entwickelt ein Eigenleben: Mit seinem Klang verändert er den gesamten Raum. Doch bis es soweit ist, muss jeder Musiker üben. Und dazu braucht er Ruhe, am besten ungestörte Einsamkeit.
Ein Cellospieler zum Beispiel hat ein ganz bestimmtes Ritual: Zuerst wird der Bogen mit Kolophonium bestrichen, dann ein Stuhl zurechtgerückt, das Cello wird im richtigen Abstand zum Körper platziert – und das Notenblatt bereit gelegt. Das Notenblatt, richtig, aber wohin eigentlich? Auf den Boden? Aufs eigene Bein? Der Cellist entschließt sich, es mit Kaugummi an den Stamm seiner Zimmerpflanze zu kleben, da hängt es perfekt auf Augenhöhe. Nun kann es aber wirklich losgehen mit dem Üben. „Jetzt fängt das schöne Frühjahr an“ spielt der Musiker auf seinem Instrument – doch er kommt nicht weit. Es klingelt unerwartet an der Tür. Kurze Zeit später will die Katze gefüttert werden. Dann muss der Cellospieler zur Toilette. Und plötzlich ist da dieser unerklärliche Lärm von draußen …
Uwe Schade, Cello- und Schauspieler, macht seinen Alltag zum zentralen Thema der jüngsten Produktion vom Theater Triebwerk: „Bitte nicht stören!“ heißt das Kindertheaterstück für Menschen ab sechs Jahren, und es erzählt 50 Minuten äußerst unterhaltsam aus dem Leben eines Musikers. Doch bei genauem Hinhören erzählt es noch viel mehr. Jede unfreiwillige Unterbrechung lässt die Musik abrupt stoppen, jedes Mal verlässt der Cellist den Raum. Und genau dort passieren während seiner Abwesenheit die merkwürdigsten Dinge: Ein Bär kommt zufällig vorbei und versucht ebenfalls, dem Cello Töne zu entlocken, das aber erweist sich als ziemlich schwierig mit seinen riesigen Pranken; wenig später geht ein Kater auf das Cello los, doch auch ihm gelingt nur schräg klingende Katzenmusik; dann fliegt eine Eule herein, sie schafft es tatsächlich, dem Instrument wohlklingende Töne zu entlocken. Schließlich taucht ein Gespenst wie aus dem Nichts auf und … aber das muss man mit eigenen Augen gesehen haben.
Nach jeder Rückkehr findet der Cellist sein Zimmer anders vor als er es verließ und wundert sich – zum großen Vergnügen der Kinder im Publikum. Wieso liegt sein Cello plötzlich auf dem Boden? Von den tierischen Besuchern weiß er ja nichts, nur das Publikum war Zeuge. Und warum ist plötzlich die Pflanze umgefallen? Skeptisch schaut er sein Instrument an: Führen die von ihm erzeugten Töne vielleicht ein noch abenteuerlicheres Eigenleben, als er je ahnte? „Bitte nicht stören!“ ist wunderbar tiefgründiges und fantasievolles Musiktheater für Kinder.