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Die Judenbank

Hamburger Kammerspiele
Die Judenbank

Dominikus Schmeinta (Peter Bause) fühlt sich ausgegrenzt

Text: Hans-Peter Kurr | Foto: Bo Lahola

Als Sophokles im Verlauf der Geburtsstunde des Theaters in der griechischen Antike seine ersten eigenen Stücke inszenierte, begnügte er sich, so lehrt uns die Theaterwissenschaft, mit nur einem Schauspieler, dem Protagonisten, bevor seine Kombattanten Aischylos und Euripides den Antagonisten, den Deuteragonisten und schließlich den Chor als Gegenspieler auf die Bühne stellten. Das darin enthaltene ungeschriebene Gesetz lautet, in den Zeitgeist unserer Tage übertragen, für Regisseure: Gebt mir ein gutes Monodram, einen sehr guten Schauspieler, einen weißen Stuhl in einem schwarzen Aushang, und wir haben das Publikum gewonnen.

Genau das geschah bei der aktuellen Premiere in den Hamburger Kammerspielen mit dem Ein-Personen-Stück „Die Judenbank“ des verstorbenen Theaterdichters Reinhold Massag in der Inszenierung des Hausherrn Axel Schneider mit dem großen Peter Bause. Der spielt zudem sämtliche fiktiven Gesprächspartner, die in seinen Erinnerungen – während er dem Publikum seine ungewöhnliche Biografie erzählt – vor seinem inneren Auge auftauchen. Ungewöhnlich ist diese Biografie aus den Jahren des Nationalsozialismus deshalb, weil sie das Paradoxon aufweist, dass ein Arier freiwillig zum Juden werden will. Warum? Weil an der Bank, auf der er als Schwerbehinderter seit Jahren sitzt, plötzlich ein Schild angebracht wurde, das da lautet „Nur für Juden“ – obwohl es in seinem Dorf keinen einzigen Juden gibt…

Schneiders Idee, die übrigen Dorfbewohner durch auf der Bühne aufgehängte Kostümteile zu dokumentieren, ist ebenso gut wie einleuchtend. Bause spielt den Protagonisten Dominikus Schmeinta mit tiefinnerer Leidenschaft und seiner in der hamburgischen Theaterszene seit langem bekannten Modulationsfähigkeit. Er vermittelt ganz nahen Einblick in den Mechanismus ohnmächtiger Abwehr gegenüber der Staatsgewalt ebenso wie die groteske Verzerrung mancher bitteren moralischen Erkenntnis darüber, wie schwach das Individuum gegenüber einer dümmlichen Staatsgewalt ist. Blanke Reinheit steht gegen den Schmutz einer verworfenen Welt. Zwar mag die Tatsache, dass der Einzelne Opfer von irdischen Gewalten werden kann, hinreichend bekannt sein. Dieses politische Gewebe ist allerdings in unseren Tagen so verknotet und verdichtet, dass es solcher Theaterabende dringend bedarf, um immer wieder in Erinnerung zu rufen, dass der Menschen dem Menschen ein Wolf sei! Und dass des großen Gerhart Hauptmanns Erkenntnis „Erfahrungen sind nicht mitteilbar, wenigstens nicht im tieferen Sinn“ zumindest auf der Schauspielbühne unserer Tage widersprochen werden muss.

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