Text: Angela Dietz | Foto: Jürgen Dakar
Hermaphroditen sind nicht vorgesehen, weder auf Geburtsurkunden noch an Schauspielhochschulen. Der Berliner Theaterperformer Tucké Royale kann ein Lied davon singen und wird genau das am Fleet Street Theater in der Admiralitätsstraße tun. „Ich beiße mir auf die Zunge und frühstücke den Belag, den meine Rabeneltern mir hinterließen“, lautet der Titel seiner „dramatischen Popkomödie“.
Obwohl grade das Theater, die Theaterliteratur von der griechischen Tragödie bis Shakespeare, den Raum bietet, um allerlei ernsthafte Spielerei mit Geschlecht und Geschlechtsidentitäten auszuprobieren, gelang es Tucké Royale erst im zweiten Anlauf an der Schauspielhochschule aufgenommen zu werden – trotz attestierter Begabung. „Beim zweiten Versuch habe ich mich heteronormativ vorgestellt, als Frau“, erzählt der Künstler. Allerdings gehörte zur Camouflage zusätzlich die Entscheidung, in die Puppenspielabteilung zu gehen, obwohl ihn das zunächst nicht interessierte. Die Angst, es könnte wieder nicht um die Arbeit gehen, trieb ihn zur „Mogelpackung“. „Aber ich hab mich dann spontan schwer verliebt ins Puppenspiel“, ergänzt Royale, „es bietet sehr viele Möglichkeiten.“
Auf die Dauer war die Anspannung unerträglich, das an ihn herangetragene Identitätsproblem immer in der Luft. Nur wenige schienen damit klarzukommen, dass der Student eigentlich Rollen beider Geschlechter spielen wollte und wohl auch hätte können. Als er im eigenen Studentenjahrgang und bei den Dozenten „die Katze aus dem Sack gelassen hatte“, ging es irgendwie besser. Die Hoffnung, das Thema sei mit dem Outing durch, erfüllte sich jedoch nicht. Eine Sprecherzieherin weigerte sich beispielsweise, mit ihm weiterzuarbeiten. Man unterstellte ihm „Leid, Narzissmus, Egoismus“ usw. Wenn er litt, dann darunter, sich künstlerisch nicht entwickeln zu dürfen. „Puck oder Jeanne d’Arc interessieren mich“, sagt Tucké Royale. Ein Großteil seines Jahrgangs fühlte sich von ihm regelrecht verraten. Ein Motiv, das in dem legendären Kinofilm „Boys don’t cry“, über die wahre Geschichte von Brandon Teena, zum Mordmotiv wird.
Diese Form von Tragik scheint dem Performer fernzuliegen. Obwohl manche seiner eigenen Sätze zunächst nicht an Humor denken lassen, eher an Wut oder Selbsthass. Doch Royale erklärt: „Ich habe keinen Selbsthass.“ Humor und Witz sind also durchaus zu erwarten. Dass David Bowie für den in der Nachwendezeit in Quedlinburg Aufgewachsenen wichtiger war als seine Mutter oder dass er „Tucké Royale als Stuntman aus Berlin“ dabei haben wird, deuten an, wohin es gehen könnte. Das zur Jalousie zerschnittene und bearbeitete Bowie-Plattencover von „Aladdin Sane“ (1973) ziert das Plakat. Poetisch-politische Texte im Versmaß, deren Autor Tucké Royale selbst ist, lassen dagegen Hintergründiges erwarten. Songs, Videos und literarische Texte gehören zur Performance. Kritik an gesellschaftlichen Verhältnissen, von feindseliger, heteronormativer Körper- und Familienpolitik über Nachwendeprovinz bis Rechtsextremismus ist inbegriffen. Eindeutigkeiten und Agitprop sind nicht zu erwarten. „Mich interessieren Widersprüche“, so der Transgender-Künstler.
Seine Solo-Performance erarbeitet Tucké Royale mit seinem Team im Rahmen des Residenz-Programms am Fleetstreet Theater. Präsentiert wird es gemeinsam mit dem Ballhaus Ost/Berlin. Produktionsleiterin Nadja Krüger hat der Performer aus Berlin mitgebracht. Auch aus Berlin: der Jürgen Dakar, Video, Grafik. Zum Team gehören der Leipziger Komponist Karl Philipp Kummer, mit dem der Künstler schon länger zusammenarbeitet und der Tontechniker Maximilian Sonntag. Neu dabei aus Hamburg: Dramaturg Daniel Chelminiak, Ausstatterin Claudia Kohl und Stefan Mildenberger (Bowie Motiv).
Premiere: Do., 24. Oktober, 20 Uhr, Fleetstreet Theater, Admiralitätsstraße 71, Eintritt 10/7 Euro
Weitere Aufführungen: Fr., 25. und Sa., 26. Oktober, jeweils 20 Uhr
Die Produktion wird gefördert von: Fleetstreet Theater, Ballhaus Ost, Rudolf Augstein Stiftung, Hamburgische Kulturstiftung, Bezirksamt Pankow Berlin.