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Die Ware Mensch

Theater Einwirkzeit, Bezirksamt Eimsbüttel
Die Ware Mensch

Iljana (Leena Fahje), Renate (Solveig Krebs) und Andrea (Hannah Sieh) (v. l.) träumen von der perfekten Zukunft

Text: Hans-Peter Kurr / Foto: Christian Hanke

In unregelmäßigem zeitlichem Abstand erscheint im Verlag „Das Beste“ (Reader’s Digest) ein auffällig illustrierter Nachschlageband unter dem Titel „Das Neueste aus der Medizin“. In der Ausgabe 2011/12 ist unter dem Stichwort „Präimplantation“ zu lesen, dass Befürworter dieser Methode immer wieder auf das große Leid von Eltern hinwiesen, wenn Embryonen mit schweren Anomalien eingepflanzt würden, was zu Fehl- und Totgeburten oder zur Geburt schwerstbehinderter Kinder führen könne. In anderen Ländern, so wird weiter berichtet, sei die Methode der Pränataldiagnostik in engen Grenzen bei schwerer genetischer Vorbelastung erlaubt… Dieser Hinweis in indirekter Rede (weil Zitate im deutschen Journalismus ja neuerdings heftige Strafen nach sich ziehen) soll nur e i n Literatur-Beispiel darstellen für des Menschen suchtvolles Sehnen, in natürliche (schöpfungsgewollte?) Entwicklungen aktiv einzugreifen.

Auf genau diese Problematik – neben weiteren Rand- und Fallbeispielen anderer Art – will uns die Produktion „Die Ware Mensch“ des engagierten Schauspiel-Ensembles Einwirkzeit an einer mehr als originellen Spielstätte warnend hinweisen: In der Einganghalle des Bezirksamtes Eimsbüttel unter sehr geschickter und einleuchtender Mitwirkung des dort noch aktiven Paternoster-Elevators.

Die Idee verdanken wir dem Arzt Tugsal Mogul, die Texte stammen von fünf Autoren, und die Inszenierung liegt in den Händen von Heike Skiba; sie weiß das alte portugiesische Sprichwort „Gott schreibt gerade auch auf krummen Zeilen“ mit einer enormen Ausweitung des Parodoxons „Medizinische Dramaturgie“ souverän zu dokumentieren, indem sie 90 Minuten von grandioser, dringlicher Intensität und gespannter Aufmerksamkeit inszeniert.

Und das mithilfe von Schauspielerinnen, die – offenbar von der Inszenatorin sehr sorgfältig ausgewählt – alle drei die seltene Fähigkeit besitzen, durch ihre Sprachkultur und ihr ungemein hohes Level von Mimus und Habitus drei Menschenfiguren zu verkörpern, ohne recht eigentlich die Chance zu haben, originär schauspielerische Mittel dazu einzusetzen: Leene Fahje, Solveig Krebs und Hanna Sieh. Ihre Figuren bilden gemeinsam ein passioniertes Ensemble, innerhalb dessen sich die Kräfte zum nachgerade Außerordentlichen bündeln. Hohe Intensität zeichnet sie dauerhaft aus, obwohl ihre Texte Fragen zu verhandeln haben über Organspenden und -handel, Eizellen, gutes Aussehen, Verjüngungsprozesse und mehr dieser Art. Die Wirkung des Abends liegt zweifelsfrei primär in der Kraft dieser drei Frauenfiguren, die bis zu ihren unterschiedlichen Todesarten, die unausgesprochene, aber deutlich spürbare These dokumentieren: Wir sind allesamt schwach in der Sucht nach dem – scheinbar – leichteren Leben. Fazit: Eine bemerkenswerte Team-Leistung.

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