Text: Dagmar Ellen Fischer | Foto: M. Eichholz
Wegen des Marzipans sowieso, nun aber lockt ein gewichtigerer Grund, nach Lübeck zu fahren: das Theater Combinale. Denn dort wurde „Angerichtet“, und das in Form eines Theaterabends, den man durchaus als temporäre Hamburger Zweigstelle sehen kann. Drei Hamburger Schauspieler haben dort weitaus mehr als nur ihre Finger im Spiel: Erik Schäffler (bis 2013 im Ensemble des Deutschen Schauspielhauses) führte Regie, Mignon Remé und Oliver Hermann (beide bekannt aus Michael Batz‘ „Hamburger Jedermann“) geben ein Ehepaar. Ihnen gegenüber positionieren sich Ulli Haussmann und Katreen Hardt als kampfbereite Gegner, beide am Theater Combinale künstlerisch beheimatet.
Ein Schauplatz, zwei Ehepaare und mindestens vier Fronten. Auf diese spannungsgeladene Formel könnte der großartige, zweistündige Abend gebracht werden – wenn sich aus dieser Grundkonstellation nicht ein Vielfaches an überraschenden Wendungen ergeben würde … Serge, karrieregeiler Kandidat für den Ministerpräsidentenposten, trifft sich mit seinem Bruder Paul, einem gescheiterten Lehrer, in einem Nobel-Restaurant. Die unterschiedlichen Männer kommen in Begleitung ihrer Gattinnen Babette und Claire, denn schließlich geht es um beider Söhne. Die Jugendlichen haben gemeinsam ein Verbrechen begangen, auf das jedes der vier Elternteile eine eigene Sicht hat. Die wird nur geringfügig von moralischen Grundsätzen überschattet, dafür von verschiedenen Fantasie-Szenarien über mögliche gesellschaftliche Konsequenzen im Falle einer Verurteilung der Kinder. Zwischen mütterlichem Beschützerinstinkt und männlichem Herunterspielen, um eine karriereschädliche, öffentliche Wahrnehmung zu vermeiden, biegt sich das gemischte Doppel individuelle Perspektiven zurecht.
Nach dem gleichnamigen Roman von Herman Koch (aus dem Niederländischen übersetzt von Heike Baryga) gelingt Erik Schäffler eine aufregende Inszenierung: Vom unverdächtigen, aber durchaus spannungsreichen Begrüßungsritual über thematische Leichtgewichte und formales Geplänkel hinweg steigert sich das Treffen sogenannter nächster Verwandter zum erbarmungslosen Kriegsschauspiel, und auf dem wechseln die fadenscheinigen Allianzen so schnell wie der Getränkepegel in den Gläsern. Wenn die Kellnerin ahnungslos ins Kampfgetümmel platzt und fragt, ob denn „hier alles nach Wunsch“ sei, sorgt das für verschiedene Nuancen von Gelächter – auch im Publikum. Nach Wunsch funktioniert das Leben der Vier längst nicht mehr. Und so brechen sich nicht nur Wut und Angst, sondern auch Boshaftigkeiten und sogar Rassismus zunehmend Bahn …
Katreen Hardt als Babette verzweifelt glaubwürdig an der Seite ihres Aufsteiger-Ehemanns Serge, der über die notwendige Skrupellosigkeit verfügt; in dieser Rolle glänzt Ulli Haussmann, dem es nach einem kurzen Einknicken wieder gelingt, die Gutsherren-Oberhand zu behalten. Mignon Remé zeigt viele Facetten ihrer Figur Claire zwischen wild entschlossener Tigerin und liebevoller Frau – je nachdem, ob es sich um ihren Sohn oder Ehemann Paul handelt. Den verkörpert Oliver Hermann als verbitterten Versager, nuanciert zwischen Zynismus und der verzweifelten Suche nach einer ethisch vertretbaren Haltung. Allein, eine Lösung des Problems scheint nicht in Sicht, stattdessen ergeben sich Komplikationen, und so nimmt die Katastrophe ihren Lauf und das Drama mächtig Fahrt auf.
Apropos Fahrt: Wenn man über den Hamburger Theater-Tellerrand schauen will – die Reise von Hamburg nach Lübeck dauert von Bahnhof zu Bahnhof 45 Minuten. Und auf dem Weg zum Theater Combinale muss man am berühmten Marzipan-Haus vorbei.
Vorstellungen 2014: 10., 17., 18., 24., 25. und 31.1. sowie 1., 7., 8., 14. und 15.2. je 20 Uhr
Theater Combinale, Hüxstr. 115, 23552 Lübeck, Tel. 0451-78817, www.combinale.de