Text: Christian Hanke | Foto: Oliver Fantitsch
Teenager Myrtle Mae, Nichte von Elwood P. Doud, der Hauptperson im Komödien-Evergreen „Mein Freund Harvey“, greift zum Handy, um sich mitzuteilen. Auch Headset und Computer sind in Andreas Kaufmanns Inszenierung eine Selbstverständlichkeit: Freund Harvey ist im digitalen Zeitalter angekommen – was überflüssig ist. Das Stück aus dem Jahre 1944 entfaltet seinen Zauber auch ohne moderne Technik. Kaufmann wollte die Hektik der „Normalmenschen“ durch diese Utensilien offenbar unterstreichen.
Verständlich, denn so richtig in Schwung kommt die Inszenierung nur selten. Volker Lechtenbrink spielt die Hauptrolle Elwood P. Doud, den Mann, der einen weißen Hasen seinen Freund nennt, den nur er sieht, sehr verhalten. Als Gegenstück dreht Maria Hartmann in der Rolle von Elwoods genervter Schwester Veta Luise, die sich durch ihren verrückten Bruder gesellschaftlich eingeschränkt fühlt, hysterisch mächtig auf. Ganz zauberhaft gelingen Katharina Pütter und Felix Lohrengel Oberschwester Ruth und Assistenzpsychiater Dr. Sanderson, die rettungslos ineinander verliebt sind und nicht wissen, wie zueinanderkommen. Da muss schon der verrückte Elwood helfen, ein herzensguter Mensch mit viel Sinn für menschliche Kontakte und Lebensfreude. Er verabredet sich mit allen, die er trifft, in Bars und Kneipen, um einen „zu lüpfen“, verbreitet überall Freude und Frohsinn. Im Gegensatz zu seiner Schwester und dem Chefpsychiater, in dessen Klinik Veta Luise ihren Bruder einweisen lassen will, und dem Rechtsanwalt der Familie, die alle ganz „normal“ auf ihre Lebensziele fixiert, also tatsächlich verrückt sind. Mary Chases wunderbare Komödie über das Normale und das Verrückte entfaltet auch im Ernst Deutsch Theater ihren Zauber, obwohl ständig irgendein Handy klingelt.