Text: Hans-Peter Kurr / Foto: Susanne Dübbers
Künstlerische Experimente mit szenischer Fantasie begabter Theaterleute gelten – zu Recht – als legitim, sofern sie gewillt sind, auch hier und da ein Fiasko zu erleiden, das nicht a priori kalkulierbar ist. Gerade Zimmertheater wie das hamburgische Theater an der Washingtonallee, geleitet von der mutigen Angelika Landwehr, sind das geeignete Forum für derartige Unternehmungen. Die Zutaten aus Dramaturgie, Schauspiel und Regie ergeben einen Cocktail, der dort unter dem Titel „Richard III.“ aus Anlass von Shakespeares 450. Geburtstag Premiere hatte.
Die Bestandteile erweisen sich zunächst als originell und originär, zumal die Verantwortlichen die älteste, aber immer noch beste deutsche Übersetzung von Schlegel-Tieck ihrer Arbeit zugrundegelegt haben, letztendlich aber nicht als tragfähig: Die ohne festen Bogenstrich arbeitende, offenbar noch etwas zittrige Violinistin Anne Schöning, die mit dem aus Dvořáks Sinfonie „Aus der Neuen Welt“ entliehenen Largo den musikalischen Background und die Zwischenmusik beisteuerte, wirkte ebenso heftig bemüht wie die junge Schauspielerin Franziska Fleischhauer, die von den schwierigen Shakespeare-Texten (noch) überfordert schien.
Daneben die erfahrene Susanna Dübbers, ein Lichtblick dieses Abends durch ihre Wandlungsfähigkeit, die zahlreiche Rollen von Buckingham bis zum Meuchelmörder Tyrrell gestalten kann. Der künstlerisch Verantwortliche für diese gewagte Unternehmung, dem als begabt bekannten Menschendarsteller Horst Seidler, langweilte hier in der Titelrolle durch Einheitstempo, dauergesenkten Blick und dem nachgezogenen Bein eines an spinaler Kinderlähmung Erkrankten.
Aber: Man sah durch die Einschnürung dieses gewaltigsten aller Shakespeare’schen Königsdramen, das zugleich deren Endpunkt bildet, eine sehr eng gesponnene, keineswegs provozierend neuartig angelegte, oft bedächtige, sozusagen mit dem erklärenden Finger dem großen Text folgende Aufführung. Dies beispielsweise, wenn Seidler einen weder bei Shakespeare noch bei Schlegel zu lesenden Begriff wie „Reichsprotektor“ investiert, um Aktualität zu erzielen – dieser Begriff ist bekannt als eine der ersten politischen Funktionen Adolf Hitlers auf dem Weg in dessen Diktatur! Darüber hinaus wird eine hastige Modernität hergestellt, die Besucher, die dieses gewaltige Stück weder gelesen noch jemals auf der Bühne gesehen haben, den Handlungsfaden nicht eine Sekunde verstehen lassen.
Es ist, als versuche der Regisseur durch den gedanken-überrankten Text in dieser Übersetzung Klarheit und Transparenz zu schaffen. So geht der Zuschauer, schwankend zwischen Hingerissenheit und Langeweile, durch diesen Abend der geschmacklichen Fahrlässigkeiten und der penetranten Überdeutlichkeiten. Rufen wir uns also tröstend die letzten zwei Sätze des Dramas, gesprochen vom Sieger Richmond, in Erinnerung und hoffen auf eine weniger brutale Zukunft: „Getilgt ist Zwist, gestreut des Friedens Samen: / Daß er hier lange blühe, Gott, sprich Amen!“
Aufführungen bis zum 22.Februar, donnerstags, freitags und sonnabends, jeweils um 20 Uhr
im Theater in der Washington Allee