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Die Ballade vom Fliegenden Holländer

Deutsches Schauspielhaus
Karin Beier

Intendantin Karin Beier holte Regisseur Sebastian Baumgarten nach Hamburg

Text: Hans-Peter Kurrr

„Ihr wißt, auf un’sren deutschen Bühnen / Probiert ein jeder, was er mag. / Drum schonet mir an diesem Tag /Prospekte nicht und nicht Maschinen. / Gebraucht das Groß’ und kleine Himmelslicht, / Die Sterne dürfet ihr verschwenden; / An Wasser, Feuer, Felsenwänden, / An Tier und Vögeln fehlt es nicht. / So schreitet in dem engen Bretterhaus / Den ganzen Kreis der Schöpfung aus / Und wandelt mit bedächt’ger Schnelle, / vom Himmel durch die Welt zu Hölle!“ – So schreibt der Altmeister unserer deutschsprachigen Theaterautoren, Goethe, im Vorspiel auf dem Theater zu „Faust I“.

Und so geschah es denn bei der Premiere „Die Ballade vom Fliegenden Holländer“ im endlich wieder funktionsfähigen großen Haus unseres wichtigsten Sprechtheaters an der Kirchenallee: Ein Abend der Trugbilder lief da ab: Nebelschwaden en masse, Projektionstricks in technischer Perfektion, die Drehbühne ständig in Bewegung, chinesischen Mustern nachempfundene Scherenschnitt-Szenen wirklich genialer Art.

Zusammengefasst eine Phantasmagorie der Sonderklasse, die die neue Intendantin, Karin Beier, in eine Reihe stellt mit den Großen ihrer Vorlaufgeneration, verbunden etwa mit den Namen Stroux, Schalla, Buckwitz, Sellner, Lietzau, Barlog und vielen anderen Staatstheaterintendanten des 20. Jahrhunderts, die nach dem Rezept verfuhren: Ohne Rücksicht darauf, ob jene eventuell gar begabter in der Kunst des Inszenierens sind als ich, engagiere ich die Besten, denn: Das macht meine wirkliche Qualität als Theaterleiter aus.

Und die Beier, selber seit Jahren ausgewiesen als hervorragende Regisseurin, hat neben ihrer genialischen Eröffnungsinszenierung mit den „Rasenden“ (Wir berichteten ausführlich) für die nächsten Produktionen Karin Henkel (Wir berichteten ebenfalls über „Schuld“) und – für diesen „Holländer“-Abend – Sebastian Baumgarten nach Hamburg geholt.

Die Geschichte, deren Kenntnis Richard Wagner und wir alle letztendlich dem erzählfreudigen Heinrich Heine zu verdanken haben, spielt hier bei Sebastian Baumgarten und seinem Komponisten Hauschka (Volker Bertelmann) prospektiv im Jahr 2073 in Südafrika am Kap der Guten Hoffnung. Dort begannen um 1600 die gierig-kriegerischen Wettkämpfe der europäischen Kolonisatoren, vornehmlich die er Engländer und Holländer, deren blutige Folgen trotz der Aera Mandela bis heute nicht beendet sind und nach Auffassung des politisch engagierten Baumgarten auch in jenem Jahr 2073 noch nicht beendet sein werden: Die Buren sind in ihr ehemaliges „Homeland“ zurückgekehrt, haben dort einen Volksstaat kommunistischer Prägung errichtet, in dem Leid und Pression der Unterdrückten – hier meisterhaft dargestellt durch einen Chor weiblicher und männlicher Schauspielabsolventen – ad libitum ihren Vorgang nehmen.

Einer der Land- und Sealords ist Daland – hier Edwin genannt – (Saturiertheit und Machlust trefflich karikierend: Aljoscha Stadelmann). Seine Begegnung mit dem in alle Ewigkeit verfluchten „Fliegenden Holländer“ geschieht sieben Kilometer vor dem Heimathafen im Sturmgewitter. Die szenische Erzählung folgt dem sattsam bekannten Faden: Es gibt die Amme Mary (Sasha Rau), es gibt den Ex-Geliebten Erik (Paul Herwig), es gibt den, einem Gespensterkabinett entsprungenen, Steuermann (Andreas Grötzinger). Und es gibt die Titelrolle des Holländers, eine Meisterleistung des Darstellers Götz Schubert, Musterbeispiel für die auf unseren Bühnen leider selten gewordene Kombination von absoluter Körperbeherrschung und vollendeter Sprachkultur. Ein hundertfältiges „Chapeau“ diesem Ausnahmeschauspieler!

Nicht unerwähnt bleiben darf selbstverständlich in dieser Geschichte Senta, das den Fluch durch seine Opferbereitschaft liebend-lösende Weib, eindringlich verkörpert durch die junge Anne Müller, die noch ein wenig ihre Ausbildung zu der Erfahrung erweitern sollte, dass es bei „Ausbrüchen“, die diese Rolle erfordert, nicht um Lautstärke geht, sondern um durch die Atemsäule erzeugtes breitgefächertes Volumen.

Regisseur Baumgarten und seinen musikalischen, dramaturgischen und szenischen Mitarbeitern ist es gelungen, das Wissen um die ineinandergreifenden geistigen Spannungen, die Gesetze der Polarität und Adhäsion nach Sentas hier neu erfundener „Elektroschock-Therapie“ wieder auf die ursprüngliche Erlösungsidee zurückzuführen, wenngleich nicht ohne leise Ironie. Durch die Möglichkeiten der heutigen Projektionstechnik gelingt es ihnen, den einhundertminütigen Abend so enden zu lassen, wie es bei Wagner als Regieanweisung zu lesen ist: „In weiter Ferne entsteigen dem Wasser der Holländer und Senta, beide in verklärter Gestalt; er hält sie umschlungen.“

Ein unglaublich guter Theaterabend, dessen Wirkung sich gewiss am besten zusammenfassen lässt, in dem wir noch einmal Goethe zitieren, hier mit dem Chorus Mysticus am Ende des zweiten „Faust“-Teiles: „Alles Vergängliche / Ist nur ein Gleichnis; / Das Unzulängliche, / Hier wird’s Ereignis; / Das Unbechreibliche, / Hier ist’s getan; / Das Ewig-Weibliche / Zieht uns hinan.“

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