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Das Goldene Vlies

Deutsches Schauspielhaus
Das Goldene Vlies

Pelias schickt Jason nach dem Vlies

Text: Hans-Peter Kurr

Aufgrund einer langen, in Italien verbrachten Schaffenspause, während derer er Trauerarbeit leistete wegen des überraschenden Freitodes seiner Mutter, benötigte Franz Grillparzer den dreijährigen Zeitraum von 1818 bis 1821, um die geniale Trilogie „Das Goldene Vlies“ zu vollenden, mit deren Stoff er sich – nach eigener Aussage – bereits während der Arbeit an seiner erfolgreichen „Sappho“ beschäftigt hatte.

Der Romantiker Grillparzer hatte sich offenbar bei der Schilderung der Läuterung dieser Dichterin von der Insel Lesbos, die sich – wie ehedem Aegeus, als er die schwarzseglige Flotte seines Sohnes Theseus über dem Horizont auftauchen sah – vom hohen Felsen in das nach jenem benannte ägäische Meer stürzte, in die Mythen des antiken Griechenlands verliebt. So entstand diese gewaltige Trilogie um Macht, Unmoral, Lieblosigkeit, Kindesmord und Fluch, die Schauspielhausintendantin Karin Beier, konsequent auf der Linie ihrer Eröffnungsinszenierung „Die Rasenden“ weiterarbeitend, jetzt an der Kirchenallee zur Premiere brachte.

Um es vorweg zu nehmen: Es entstand wiederum eine heftig umjubelte Produktion, die sich – unter weitgehender Aussparung des nur einaktigen ersten Teils mit dem Titel „Der Gastfreund“ – im Wesentlichen um die beiden großen Fortsetzungen „Die Argonauten“ und „Medea“ rankt. Die Spielfassung von Intendantin Beier und ihrer Stellvertreterin Rita Thiele legt die verworrenen Vorgänge innerhalb griechischer Mythologie frei, die auf Kolchis mit dem Raub des Goldenen Vlieses durch die beutegierigen Argonauten beginnt und in Korinth endet. Dort führen die auch Kindesmord nicht scheuenden Erinnyen (die mit ihrem altgriechischen Synonym „Manai“ dem Spielzeiteröffnungsabend im Januar dieses Jahres den Titel „Die Rasenden“ liehen) die Schicksalsverläufe der beteiligten Menschen brutal ihrem Ende zu. Höhepunkt auch dieser Inszenierung: Der berühmte Schluss- und Nachtmonolog der Medea, nachgerade erschütternd zelebriert von der herausragenden Menschendarstellerin Maria Schrader.

Das übrige Ensemble besteht, wegen der Doppelbesetzung der schicksalstragenden Rollen, aus nur drei weiteren großartigen Schauspielerinnen: der bewährten Angelika Richter als die Jason liebende Kreusa (in Kolchis noch Absyrtus), dem mit wunderbar einmaliger Stimmlage und hohem darstellerischen Potenzial begabten Jason des Carlo Ljubeck (in Kolchis: Phrixos) sowie dem Altmeister Manfred Zapatka, der beiden Königen, dem bestohlenen Aietes und schließlich dem korinthischen Kreon sehr differenziert Gestalt verleiht.

Die eschatologischen Vorgänge in diesem Riesendrama – häufig verwechselt mit dem Begriff der Apokalyptik, die, knapp gefasst, individuelle Schicksalsformen in den allgemein gültigen Ablauf der Menschheitsgeschichte hochprojiziert – sind von der Art, wie sie alle großen Religionen des Schulungsplaneten Erde für das Ende deren Geschichte (siehe „Kampf um Meggido“ in der Offenbarung Johannis) prophezeien. Diese Tatsache dürfte ein wesentlicher Grund für die Programmplanung Karin Beiers sein, antike Stoffe heute zu inszenieren, insofern, als ihre Einblicke in die Gesetzmäßigkeiten, denen jede einzelne Biografie bis heute unterliegt, zeitlos Gültigkeit behalten.

Grillparzer, der Romantiker, hat sich – gemäß eigener Aussage – dieser Erkenntnis in den Anfängen seines Schaffens stets verweigert (er schreibt: „Ich mag meinen inneren Menschen niemandem zeigen …Wer mich zu fassen wüsste, würde sich wundern, mich früher für kalt gehalten zu haben!“). In diesem gewaltigen Werk der unsinnigen Ich-Spaltung des Einzelnen sucht er nach Systematisierung. So auch Beiers Inszenierung (ein gelungenes Remake aus ihrer Kölner Intendanz), die vor der Pause etwas langatmig daherkommt, sich danach, wenn ein Heer von Bühnenhandwerkern Kolchis Sand von der Bühne geräumt und Korinths glatten Boden hervorgezaubert hat, unerwartet verdichtet. Was die Regisseurin – auf Grillparzers Gedankenpfaden wandernd – hier an Brüchen, Sprüngen, Inkonsequenzen in Szene setzt, spiegelt sich in den aussagekräftigen (Rollen-)Gesichtern ihrer Darsteller wider, die ganzes Häuser von Wissen, von Rhythmen und Gegenrhythmen, von Intrigen und Gegenhandlungen, von entrückter Illusion und erlesenem Raffinement auf hohem Niveau handhaben. Ein meisterlicher Theaterabend.

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