Text: Birgit Schmalmack | Foto: Krafft Angerer
Manche munkelten schon während des 2014 auf fünf Tage komprimierten Regie-Festivals, dieses Jahr seien anscheinend nur Performances im Körber Studio Junge Regie zu sehen. Angesicht der Flut an Bildern, Ideen, Genres und Stilmitteln der meisten Inszenierungen, hinter denen die Handlungen oder zu erzählenden Geschichten oft in den Hintergrund gerieten, wurde dieser Eindruck oft bestätigt. Dennoch waren häufig wohl bekannte Theaterstoffe das Ausgangmaterial der Jungregisseure.
Zu Technorhythmen marschieren die Popsoldaten in Reih und Glied wohlgeordnet auf der Bühne auf und ab. Solange bis einer ausschert. Sofort wird diese Eigenwilligkeit mit einer Fußfessel und mit dem kompletten Ausschluss bestraft. Philoktet heißt der junge Mann aus dem gleichnamigen Drama von Sophokles und Heiner Müller. Eigentlich tut er seinen Dienst in der griechischen Armee, bis er als untauglich aussortiert und zehn Jahre lang auf eine einsame Insel verbannt wird. Bei der Jungregisseurin Sapir Heller von der Theaterakademie August Everding aus München wird er zum Sinnbild für den absoluten Drill einer Konformitätsgemeinschaft, die gnadenlos über Zugehörigkeit oder Ausschluss entscheidet. Sie verbindet dies mit einem besonders kritischen Blick auf den Zwang zur Uniformität in Militäreinheiten aufgrund ihrer eigenen Erfahrung als israelische Kriegsdienstverweigerin. Ein ironischer Werbeblock für die polnische, österreichische oder israelische Armee macht das mehr als deutlich. Doch auch die Popkultur, die eigentlich als Aufbegehren gegen gesellschaftliche Geschmacksnormen gedacht war, bleibt von Hinterfragungen nicht verschont. Die Geschichte um Philoktet gerät dabei so sehr in den Hintergrund, dass sie sich unerfahrenen Zuschauern wohl kaum erschließt.
Selbstvermarktung ist alles! Schon in den neunziger Jahren schrieb Falk Richter ein visionäres Stück darüber, was in Zeiten von Facebook und Youtube schon zum Alltag geworden ist. Dennoch ist Gott ist ein DJ immer noch sehenswert. Regisseurin Janne Nora Kummer von der Hochschule Ernst Busch aus Berlin bedient sich aus dem reichen Textmaterial und stellt eine performanceartige Show der medialen Absurditäten aus. Aus dem Zauberwürfel von einst ist eine nicht zu lösende Formation des eigenen Lebens geworden. Er dient als Webcamkammer und als TV-Showpodest. Auf engstem Raume hat sich das Künstlerpärchen zur Selbstvermarktung als Kunstprojekt freigegeben. Dass sie dabei nur zu Puppen ihrer eigenen Show, zu Versatzstücken aus dem täglichen Medienkonsumalltag werden, scheinen sie gar nicht zu merken. Intimität Fehlanzeige! Die Frage nach dem gemeinsamen Kind erübrigt sich zum Schluss. Welches Kind? So wird das Stück zur Schnipselparade, die es gerade hinterfragen will.
Wie wird Macht konstruiert? Kann ein Mensch, der Zeit seines Lebens in einem dunklen Kerker gelebt hat, sich als guter Machthaber erweisen? Dieser Frage geht Calderon in seinem Stück Das Leben ein Traum nach. Prinz Sigismund, der Zeit seines Lebens weggesperrt war, wird plötzlich auf den Königsthron gesetzt. Das Experiment scheitert zunächst vorhersehbar. Dennoch gelingt es dem Autor, seiner „ernsten Komödie“ noch schnell im letzten Drittel ein überraschendes Happy End zu verschaffen. Der Böse wird gut, das Volk ist klüger als der Vater, alle bekommen ihre Wunschpartner und dem Vater wird verziehen.
Es stimmt vieles bei der Inszenierung von Tobias Herzberg von der Hamburger Theaterakademie: Die sinnreiche Bühne mit dem Halbrund aus schlichten Spanplatten ist sowohl Kerker als auch Palast. Die Hütte, in der Sigismund sein Leben fristete, ist ein winziges Stahlgerüst in Form eines Hauses, in das sich der Eingekerkerte zum Schlafen einfalten muss. Die prunkvollen Kostüme schmücken und entlarven zugleich. Herzberg zeigt das höfische Personal als geckenhafte Schranzen, die nur ihre Rolle zu spielen haben. Mit hoher Bewegungsenergie hetzt Herzberg die Kontrahenten um die Macht aufeinander. Dennoch kommt Herzberg immer wieder an Punkte, in denen auch er nicht verhindern kann, dass die Story unglaubwürdig und konstruiert wirkt. Dann mogelt er sich mit Slapstickeinlagen auf unterhaltsame Weise fast an den Kernfragen des Stückes vorbei.
Ein Highlight hatten sich die Programmplaner bis zum Schluss aufgespart. Die Versenkung des Atom-U-Boots Kursk durch den Feigling Steven Jobs spielt so gekonnt mit dem Zusammenprall unterschiedlicher Genres, dass es ein Hochgenuss war, dem Team um Autor und Regisseur Timo Krstin von der Zürcher Hochschule der Künste bei ihrer philosophischen Vampir-Science-Fiction-Satire zuzuschauen. Wie die auktoriale Erzählerin ihr Autoren-Alter-Ego auf den Grund des Baikalsees schickt, um eine illegale Zwangsarbeitsfabrik von Apple zu enttarnen und dabei auf von Hollywood aussortierte Vampirdarsteller trifft, ist so herrlich verschrubbelt diskursiv und absurd ironisch, dass keine Sekunde Langeweile aufkommt und dennoch nie der Intellekt beleidigt wird.
Gerade eine Performance, die auch als solche gekennzeichnet wurde, kam dagegen mit sehr wenigen, klug gewählten Stilmitteln aus. „Herzlich Willkommen zu unserem Reisevortrag über die Oberlausitz. Auf unserem mitgebrachten Video sehen Sie …“ Doch die Leinwand bleibt leer. Die Zuschauer sehen nichts und dennoch beginnen zu dem Erzählten Bilder im Kopf zu entstehen. Gleichzeitig aber auch die Irritation: Sind die Vier – wie behauptet – überhaupt unterwegs gewesen?
Das Spiel mit der Authentizität hat begonnen. Die intelligente und vielschichtige Performance Steppengesänge vom Kollektiv Adele Dittrich Frydetzki, Kristina Dreit, Marten Flegel und Anna Froelicher von der Universität Hildesheim wird zum Beweis ihrer großartigen Verführungskunst. Immer wieder verstehen sie es, die Zuschauer auf eine neue Fährte ihrer Reise zu führen und sie in einer geschickten Mischung aus dokumentarischen Realitätsbeweisen und offensichtlicher Fiktion auf immer neue Metaebenen zu locken. So wird das Verschwinden der Lausitzer Dörfer durch den Braunkohleabbau in ihrem Abgesang zu einem Verschwinden der Zivilisation, dann der Nation und schließlich der Bühne. „Es bleibt ein großes Versprechen“, ist zum Schluss auf einem Laufband über der Bühne zu lesen. In dem kompletten Verschwimmen der Grenzen von Realität und Fiktion ist eben alles möglich. Dieses Plädoyer für das Theater wurde am Montagabend zu Recht sowohl von der fünfköpfigen Jury mit dem Festivalpreis als auch durch den Publikumspreis ausgezeichnet.