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Einmal ans Meer

Junges Schauspielhaus
Einmal ans Meer

Sympathische Reisegemeinschaft: Rahel (Florence Adjidome) und Frau Loosli (Thomas Esser)

Text: Angela Dietz | Foto: Sinje Hasheider

Der 85-jährigen Frau Loosli (Thomas Esser) fehlen die Zunge und beim Sprechen deshalb die Konsonanten. Wer will schon mit so einer in Urlaub fahren? Rahel (Florence Adjidome) will. Am 31. Januar reisten das 10-jährige Mädchen und die alte Dame, die man so schlecht versteht, auf den Brettern des Jungen Schauspielhauses „Einmal ans Meer“. Für die Inszenierung der Geschichte über Verschieden-Sein, Verreisen und Vertrauen in der Regie von Taki Papaconstantinou gab es vom Premierenpublikum tosenden Hand- und Fuß-Applaus.

Alle foppen Frau Loosli, weil sie so seltsam konturlos spricht, auch die fünf Kinder der Pfarrersfamilie Baumgartner: Hannes, Thomas, Benjamin, Stephan mit PeHa und Rahel. Als Rahel sich auf Geheiß der Eltern bei der alten Dame entschuldigen muss, kommen die beiden einander näher. Mit Blicken und Fingern fahren sie auf der Weltkarte umher. „Ach, einmal ans Meer“, schwärmt Frau Loosli.

Rahel wünscht sich, dass Frau Loosli in den Familien-Urlaub ans Meer mitfährt. Hotel muss nicht sein, die 85-Jährige würde auch im Schlafsack übernachten. „Ch bhm ja kich ih Öji-in on Ehan (Ich bin ja nicht die Königin von England).“

Als das, insbesondere von Mutter Elisabeth, abgelehnt wird, ist Rahel bitter enttäuscht. Doch das junge Energiebündel kann die warmherzige Frau mit ihrer charmanten Hartnäckigkeit überzeugen, heimlich zu zweit ans Meer zu fahren. Los geht es mit dem Postbus und der Bahn nach Les Saintes-Maries-de-la-Mèr.

Dramaturg Mathias Wendelin und Regisseur Papaconstantinou gelingt es, aus der Geschichte von Andreas Schertenleib ein quicklebendiges Erzähltheater mit mehreren Ebenen zu machen. Spritzige Dialoge, Musik und ein körperbetontes, immer wieder wortloses, wirkungsvoll formalisiertes Spiel lassen das Publikum in einer Szene glauben, es sei selbst auf dem Rummel, ohne dass ein einziges Karussell zu sehen ist.

Gespielt wird in der Ausstattung von Katrin Plötzky auf und um ein mit Sand aufgeschüttetes Quadrat zwischen Säulen. Die Bahn fährt in luftiger Höhe als Miniatur im Kreis um die Säule. Das Erzähl-Sofa nebst Stehlampe aus dem Gelsenkirchener Barock steht auf einer Anhöhe und ist eine Reminiszenz an den Schweizer Autor Schertenleib, der seine Stücke in Bern-Deutsch verfasst und selbst spielt.

Die beiden Schauspieler, wie Pat und Patachon der lange Dünne und die kleine Stämmige, verkörpern mit kurzen Schnitten alle Figuren der Geschichte. Rahel wird mit einer anderen Armhaltung zur eigenen Mutter Elisabeth oder mit Mütze und Flüstertüte zum Schaffner. Gleich darauf schwimmt sie, Taucherbrille im Gesicht, im Meer. Frau Loosli, Kopftuch ab, Hände in die Hosentaschen, Kartoffel im Mund, mutiert zum dickfelligen, 16-jährigen Hannes oder rockt das Haus mit Gitarre als Erzähler-Onkel.

Adjidome nimmt man die 10-jährige, lebhafte und gewitzte Göre bis in den Mundwinkel ab, ein Kraftpaket. Esser, der auch für die Musik verantwortlich zeichnet – darunter schönste Chanson- und Rock-Anspielungen mit Gitarre und Stimmband – verleiht der alten Dame Scheu und Zerbrechlichkeit. Bewundernswert, wie er den Sprachfehler bis ins Kleinste durchhält und schnell und unvermittelt wieder fehlerfrei erzählt. Und berührend, wie er als Frau Loosli dann doch die Nylons auszieht und feststellt, wie warm das Meereswasser ist, das ihre Zehen umspielt.

Auf Kindesentführung steht eigentlich Gefängnis. In „Einmal ans Meer“ reisen Mutter und Hannes den Ausreißern jedoch einfach im Auto hinterher. Die haben sich inzwischen sogar gestritten. Denn die Nacht am Strand ist bitterkalt, alle Hotels sind ausgebucht. Doch der Einladung des fremden „Zigeuner“ (!) in einen Wohnwagen will Frau Loosli panisch und partout nicht folgen. Am Ende begegnen sich alle auf der Prozession für die heilige Sara, der Schutzpatronin der Roma.

Die Regie weiß um die Gefahr von falschem Pathos, und so sitzen der Erzähler und seine Zuhörerin am Ende wieder auf dem Sofa. Zu klären haben sie noch, warum Rahel damals selbst dem besten Freund ihre Pläne nicht verraten hat und ob Onkelchen nach dem Geschichten-Erzählen nicht mal wieder staubsaugen sollte…

Weitere Aufführungen: 4.2., 18.3., 19.3., 20.3., 2.4., Jeweils 10.30 Uhr, 4.4., 16 Uhr, 5.4., 15 Uhr,
JungesSchauSpielHaus Gaußstraße, 12 Euro, Tel. 24 87 13

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