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Das Gespenst von Canterville

Theater Fata Morgana im Fundus Theater
Das Gespenst von Canterville

Hörspiel-Spuk mit Thomas Esser

Text: Dagmar Ellen Fischer | Foto: Theater Fata Morgana

Nicht zur Tea Time, dennoch very british begrüßt Thomas Esser das Publikum beim Einlass: In stocksteifer Haltung, exzentrisch gekleidet und mit der unvermeidlichen Teetasse in der Hand wartet er lächelnd, bis sich sämtliche Zuschauer versammelt haben. Dann setzt er sich in die Mitte eines Halbrunds aus unterschiedlichsten Musikinstrumenten und Geräuscherzeugern – und diesen Platz wird er 55 Minuten lang nicht verlassen. Theater? Ja, denn das Stück entsteht im Kopf der Zuhörer. In der Regie von Brigitte Ostermann als derart farbiger Film, dass sich zwei Mädchen beim Auftritt des Gespensts mit mühsam zurückgehaltenen Tränen aus der ersten, ausschließlich für Kinder reservierten Reihe nach hinten auf einen vertrauten erwachsenen Schoß flüchten …

Thomas Esser ist Musiker, Schauspieler und ein begnadeter Erzähler. Oscar Wildes Novelle – „Das Gespenst von Canterville“ war 1887 dessen erste veröffentlichte Erzählung – vermittelt er mit einem perfekten Gefühl für Timing, Pausen und Steigerungen der Story. Jede der neun unterschiedlichen Figuren bekommt eine eigene Stimme: Das Gespenst grollt gruselig, die Haushälterin des Schlosses spricht verhalten, und die sechsköpfige amerikanische Familie, die Canterville trotz der Spuk-Warnungen kauft und bewohnt, äußert sich ebenfalls individuell, sobald Vater, Mutter, Sohn, Tochter oder einer der beiden Zwillinge das Wort ergreift; nur als Erzähler spricht Esser mit unverstelltem Tonfall. Zum lebendigen Live-Hörspiel wird die Aufführung für Kinder ab sieben schließlich durch die leichthändig eingeflochtene Geräuschkulisse, wie beispielweise das Donnern und Kettenrasseln des Gespensts, das leise Prasseln des englischen Regens und das Hufgetrappel der Pferde beim Ausritt.

Die auf diese Weise akustisch gut vorbereitete unheimliche Atmosphäre wird jäh gebrochen, als altenglisches Adelsgespenst und pragmatischer Amerikaner als Hausherr erstmals aufeinander prallen: Der Umherspukende Sir von Canterville möge doch seine Ketten einmal ölen, damit die Familie in Ruhe schlafen könne. Eine solche Furcht- und Respektlosigkeit hat der nächtliche Geist noch nie zuvor hinnehmen müssen, folglich sinnt er auf bewährte Spuknummern, die seit mehreren hundert Jahren vorherige Schlossbewohner verlässlich zur Flucht oder in den Wahnsinn trieben. Doch gegen die bodenständige Mentalität der Nordamerikaner ist selbst der Auftritt als blutiger Kopfloser ein Reinfall – er nötigt den Familienmitgliedern nur Spott statt Spuk-Angst ab.

Und so kommt zur Jahrhunderte währenden Einsamkeit des gespenstischen Daseins die Verzweiflung über missglückte Gruselattacken hinzu – warum dann also noch weiterleben beziehungsweise -spuken? Doch dem tieftraurigen Geist kann geholfen werden, in Gestalt der furchtlosen und mitfühlenden Tochter der Familie. Sie erlöst das Gespenst von Canterville, damit es den herbei gesehnten Ruhe-in-Frieden-Tod finden kann. Auch die Kinder atmen am Ende erleichtert auf, weil sie nun wissen, wie man Gespenstern begegnen kann. Und die Erwachsenen sind very amused.

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