Text & Foto: Adrian Anton
„Nobody loves you when you’re down and out“
„Der Entertainer“ von John Osborne handelt nicht nur vom Niedergang der englischen Varietés in den 1950er Jahren und vom vergänglichen Ruhm von Stars des Entertainments, sondern übergeordnet auch von der Verzweiflung von Menschen, die keinen Platz auf der Bühne der Gesellschaft finden und gegen sozialen Abstieg und Perspektivlosigkeit einen tragischen Kampf führen.
Regisseur Christoph Marthaler bringt mit seinem „Entertainer“ die faszinierende Schönheit des Scheiterns und der Gescheiterten auf die Bühne des Schauspielhauses, die von Duri Bischoff entsprechend als heruntergekommener Theatersaal mit viel morbidem Charme gestaltet ist.
„Wir sind Figuren in einem Stück, das keiner mehr sehen will“
„Der Entertainer“ erweist sich als erstaunlich zeitloses Stück: Der permanente Wunsch Aufmerksamkeit zu erhalten, zu gefallen und zu unterhalten ist heute präsenter denn je. Die Bühne oder auch das Fernsehen sind längst nicht mehr die einzigen Orte penetranter Unterhaltung, schließlich bietet das Internet sehr viel leichter zugängliche Plattformen zur unverfrorenen und unzensierten Selbstdarstellung, die nicht selten tragisch-komische bis geschmacklose Formen annimmt. Marthaler nimmt auf diese digitalen Formen der Selbstinszenierung allerdings keinen expliziten Bezug und vermeidet somit eine krampfhafte Aktualisierung des Dramas.
„Wir spielen hier ja immerhin ein Sozial-Drama“
Marthalers „Entertainer“ wirkt wie aus Zeit und Raum gefallen: Die politischen und sozialen Krisen, die in Osbornes Stück mit der britischen Suez-Krise sehr konkret sind, werden nicht weiter benannt, aber Namen und Orte von Krisen sind ohnehin austauschbar. Marthaler erschafft für seinen „Entertainer“ einen Raum voller nostalgischer Anachronismen, von der wunderbar swingenden Tanz-Kapelle „The Archie-Rice-Allstars“ (Musiker: Andreas Böther, Volker Griepenstroh, Hartmut Kayser, Mickie Stickdorn) bis zu den tragisch-komischen Tänzerinnen (Altea Garrido, Veronica Garzón, Begoña Quinones), die diverse Stürze und Erniedrigungen ertragen müssen. Gleiches gilt für das durchweg hervorragende Ensemble (Jean-Pierre Cornu, Rosemary Hardy, Irm Hermann, Jan-Peter Kampwirth, Josef Ostendorf, Sasha Rau, Bastian Reiber, Bettina Stucky, Michael Wittenborn), das sich von einer schlechten Nummer zum nächsten rassistischen oder sexistischen Witz hangeln muss, begleitet und getragen von viel Gin und Vergangenheitsromantik. Eine mögliche Erkenntnis des Abends: Früher muss alles ganz schlimm gewesen sein, wie die schrecklich-schönen Lieder (Musikalische Leitung: Andreas Böther) und die polyester-knisternden Kleider (Kostüme: Anja Rabes) zeigen. Aber die unzähligen Kalauer, die größtenteils heutigen Unterhaltungsshows entlehnt sind, verdeutlichen schmerzlich, dass es immer noch schlimmer geht.
„So let’s all drink to the death of a clown“
Wie so oft bei Marthaler muss das Publikum während der gut 160-minütigen Inszenierung einiges ertragen, vor allem an zermürbender Monotonie, denn Marthaler lotet auch gerne die Schmerzgrenzen aus. Aber dem „Entertainer“ gelingt es bei allen Höhen und Tiefen des Show-Business, auf dem schmalen Grat zwischen Sinn und Sinnlosigkeit und zwischen Respekt und Respektlosigkeit zu tanzen. Große, aber auch schmerzliche Unterhaltung!
Weitere Termine: 24.03. und 09.04. um 20 Uhr, 12.04. um 16 Uhr sowie am 18.04. um 20 Uhr.
Informationen unter www.schauspielhaus.de