Text: Stephanie Schiller | Foto: Stagephotographers
„Ich habe mir heute ein Zweipfundbrot für vier Milliarden gekauft“, ließ Hans Bötticher 1924 seine Frau wissen. Nicht alles, was er schrieb, war witzig. Manches war nur wahr. Aber – bedenkt man, dass er eigentlich immer meinte, nie genug Geld zu haben, um besser zu leben – dann hat dieser teure Einkauf beim Bäcker eben doch etwas Tragikomisches. Hans Bötticher war freilich nicht der Einzige, der für den Hunger in den Zeiten der Weltwirtschaftskrise der 20er Jahre Milliarden zahlen musste. Aber er gehörte doch zu den Wenigen, die aus schwerem Alltag leichte Gedichte machten. Besser bekannt als Joachim Ringelnatz lebte der Quer- und Um-die-Ecke-Denker bis 1934. Jetzt ließ der Schauspieler Frank Roder ihn im Bauch des Theaters „Das Schiff“ fulminant wiederauferstehen.
Vielleicht ist einer einem anderen näher als anderen, wenn er ihm gleich sieht. Frank Roder und Joachim Ringelnatz jedenfalls sind sich physiognomisch nicht unähnlich, und dass der Humor des Dichters aus Wurzen dem Schauspieler aus Riesa liegt, beweist er in seinem Soloprogramm „Allerdings. Ringelnatz“, mit dem er jetzt im Theater „Das Schiff“ Premiere feierte. Aus Vierzeilern, mal kurzen Gedichten und längeren Geschichten (herrlich: das Ringelnatzʼsche Märchen vom Rotkäppchen, das endet, weil es zu Ende ist: Die Großmutter hat alle aufgefressen) entstand ein Kosmos mit Sogwirkung. Einerseits, weil sich herausstellte, dass Ringelnatz-Texte nach wie vor überraschend aktuell sind. Nur ein Beispiel dafür ist die Frage nach dem Schreiber des Steuerbogenformulars: Wer hat zum Steuerbogenformular den Text erfunden? Ob der in jenen Stunden, da er dies Wunderwirr gebar, wohl ganz – oder total – war? … Dann aber auch, weil Frank Roder die Texte so authentisch, sprachlich so virtuos und nuanciert zugleich vortrug, als habe er sie just auch selbst geschrieben.
Regisseurin Sylvia Richter ließ ihren Ringelnatz immer wieder in seine Seemannskiste greifen und alte Briefe hervorholen, aus denen eines deutlich wird: Der Dichter hatte IMMER Sorgen ums Geld. Er schrieb Bettelbriefe, Dankesbriefe, hakte nach und schalt. Klug ausgesucht und arrangiert tat sich so einen Abend lang mal die literarische, mal die alltägliche Welt des Joachim Ringelnatz fürs Publikum auf. Das applaudierte herzlich und schmunzelte noch, als es beim Premierenbuffet vom Künstler selbstgemachten sächsischen Kartoffelsalat gab. Freilich nicht nach Ringelnatzʼschem Rezept: … man mische 7 Pfund Palmin / mit gleichviel Milch und Terpentin. Dann füge man ein Hühnerei / und etwas Öl nebst Essig bei. Dies nun zu festem Brei gerührt, / wird dann in einen Strumpf geschnürt. Das Ganze lässt man 13 Wochen / in lauem Seifenwasser kochen … Es gibt eben auch Geschichten, die enden, weil alle satt sind und weilʼs lecker war.