Text: Angela Dietz | Foto: Ambrella Figurentheater
Auf der Bühne im Fundus Theater steht eine riesige Kasperlebude, Auftritt Kasper mit seiner Spielerin Heike Klockmeier, begleitet von Leierkastenmusik. Das Vorspiel auf dem Theater beginnt.
Wie bei Goethe – ist fast alles in dieser Fausterzählung und doch ganz anders, meistens lustig, weniger tragisch. Die Richters, eine 250 Jahre alte sächsische Puppenspieler-Dynastie, haben Faust erfunden und Goethe hat in seiner Niederschrift der Tragödie den Kasper einfach vergessen.
In der Inszenierung von Regisseur Dietmar Staskowiak ist er der Erzähler, Kommentator und zuweilen Regisseur, der Mephisto motivieren muss. Oder mal eben die nächsten 58 Goetheanischen Seiten streicht. „Überflüssig.“
Schon diese Grundidee von Heike Klockmeier ist witzig und doch historisch angebunden. Denn eine der ältesten Marionettenspieler-Dynastien, die Billes, zogen tatsächlich zu Goethes Zeit durch Sachsen und Thüringen.
So beginnt das alte Spiel zwischen Faust und Mephisto, zwischen Gott und Teufel von vorn. Faust will sich amüsieren und neues kennenlernen. Als er Gretchen entdeckt, braucht er den „Verjüngungstrank“, um bei ihr zu landen. In der Hexensuppen-Szene verkörpert Heike Klockmeier die Hexe mit Riesen-Zinken im Gesicht und grauer Wirrhaarperücke. Hier sind es keine Kröten, die in den Kessel wandern, sondern der winzige Kuschelhase Kasimir. Sieht harmlos aus, ist sehr böse und bringt das Publikum zum Lachen.
Mephisto ist als Marionette ein sanfter, gelassener Typ in grün glänzendem Sakko, auf den wohl jeder hereinfiele. Faust dagegen in Professoren-Braun mit buschigen Augenbrauen und als junger Mann mit vollerem Haar ist in seinem Duktus bestimmter. Gretchen, im warm-orangenen Kleid, ist unerfahren, aber nicht dumm.
Heike Klockmeier bespielt die ganze Kasperbude, im Guckkasten, auf der oberen Kante, in der Ecke der Faltschiebetür, neben und vor der Bude bei geöffnetem oder geschlossenem roten Vorhang – immer mit Publikumssicht auf die Marionettentechnik. Sie spielt mit zugleich leichter und sicherer Hand. Sie wechselt ebenso souverän unzählige Rollen als Figurenspielerin, manchmal als Schauspielerin, und bleibt dabei immer konzentriert und gelassen.
Selbst als die Fäden ein-, zweimal verwickelt sind, improvisiert sie souverän und ruft direkt Jürgen Maaßen, der sie technisch und spielerisch unterstützt und als Ausstatter auch die ungeheuer ausdrucksstarken Marionetten geschnitzt hat. Musik aus dem Off, für die Regisseur Dietmar Staskowiak verantwortlich zeichnet, begleitet die Umbaupausen und Szenenwechsel. Häufig entstammt sie der traditionellen Jahrmarkts- und Kasperbudensphäre, ohne angestaubt zu sein.
Das Figurenensemble insgesamt, zu dem auch Stab- und Handpuppen gehören, steckt voller Einfallsreichtum und Raffinesse. Das Gewissen ist eine zarte Bohnenstange als Harlekin, von Heike Klockmeier als höflich zurückhaltender Mann geführt und gespielt. Doch zum Lachen ist er nicht, sondern berührend.
Gott dagegen ist fast nur (Gummi) Nase, mit einem Gewand aus Bart, bis er das vom silbernen New-Age-Dreieck umkränzte Stirn-Auge öffnet: Gott ist ein Zyklop und der ist zum Kichern.
In Auerbachs Keller beim Bier sind Gläser die Figuren, die sich prügeln. Eine schöne Idee, aber die Szene wirkt mit ihren langen Dialogen zerfahren.
Bis zur Pause und zu Gretchens Tod erscheint die Fausterzählung bekannt und in vielem zeitlos, bis auf die „Lustspiel-Grundierung“. Neben dem Kasper-Rahmen sind es die vielen witzigen Einfälle, Verweise und Kommentare, die amüsieren. Zu ganzen Goetheschen Original-Passagen in Reim und Versmaß gesellt sich Gegenwartssprache hinzu, bis zu Floskel und Fluch. Vor allem Kasper und Mephisto sprechen „alle Sprachen“. Ein Publikum ab zwölf Jahren wird der Handlung folgen können, aber vermutlich nicht jede Spitze sehen oder verstehen.
Nach der Pause, in der Tragödie zweiter Teil, wird es deutlich anders. Das mag dem Grundproblem, das schon zu Goethes Zeiten eines war, zumindest teilweise geschuldet sein. Die Erzählung zerfällt in viele Teile, deren Sinnzusammenhang als schwer nachvollziehbar gilt und vielen Bühnenkünstlern als nahezu unspielbar.
Trotz des Ideenreichtums von Heike Klockmeier und Regisseur Dietmar Staskowiak sowie der großen Spielfreude – auch in diesem Teil bleiben sie trotz Transformation dicht am Goethestoff – bleibt es bei einzelnen vergnüglichen Szenen, ohne dass man so recht weiß, wohin das Ganze führt.
Goethes Faust auf die Bühne zu bringen, ist immer ein Wagnis. Das Ambrella Figurentheater verwandelt Goethes Tragödie in ein lustiges Bühnenspiel, das man sich bei aller Stofftreue noch kürzer vorstellen kann.