Das erste Kompliment für die „Ausgrabung“ dieses beeindruckenden Werkes der Zeitenwende zwischen Spätrenaissance und Barock gilt der künstlerischen Leitung der Hamburger Kammeroper, dem Ehepaar Hass/Deeken. Die für Hamburg von Barbara Hass und Fabian Dobler neu eingerichtete Fassung von „Il Re Teodoro in Venezia“ – dieser über 200 Jahre alten Oper von Giovanni Paisiello, die selbst im gültigsten aller Opernhandbücher, dem berühmten „Kloiber“, nur als Randnotiz erscheint – hätte aber das Premierenpublikum vermutlich nicht zu derartigen Ovationen hingerissen, wäre da nicht als Lenkerin des vorzüglichen Ensembles eine Regisseurin, Jean Renshaw, deren nahezu überbordende szenische Fantasie sich ungehemmt ihrer künstlerischen Herkunft aus der Choreographie bedient.
Der Chronist kann sich nicht darauf besinnen, jemals ein so qualifiziertes Opernensemble erlebt zu haben, das so genial-künstlich (Sic!) und dadurch ungemein stückadäquat geführt worden wäre. Und da die sehr sorgfältig besetzten Solisten diese Art Regie offenbar lustvoll mittragen, entsteht ein Opernabend, der sich nicht hoch genug loben lässt.
Eine weitere Verbeugung muss der hauseigenen Bühnenbildnerin Kathrin Kegler gelten, deren bis ins Detail liebevoll gestaltetes Bühnenbild begeistert; sogar die Gondel im Schattenriss lässt sie zweimal am Abend über Venedigs Kanäle fahren. Ebenso auch Barbara Hass, wiederum als Kostümbildnerin, deren liebevoll realisierte Gewänder so wertvoll wirken, als hätte die Kammeroper einen millionenstarken Ausstattungsetat!
Zu den Sängern der Premierenbesetzung: Marius Adam singt stimmgewaltig – wie stets in seinen Partien – den aus seinem korsischen Reich hoch verschuldet entflohenen König Theodor, der sich vor zahlreichen Gläubigern in seiner Lieblingsstadt Venedig in Sicherheit glaubt, gemeinsam mit dem ersten Minister Gafforio, der seinem Dienstherren mit raffinierten Tricks aus der Malaise zu helfen versucht, unter anderem durch das „Verkuppeln“ des Herrschers mit des reichen Hotelwirtes Töchterlein, mit sehr sympathisch-tragfähigem Sopran gestaltet durch Joo Anne Bitter. Roland Zeidlers Raum sprengender Bass wird dem Wirt Taddeo eindrucksvoll verliehen. Einrique Adrados schenkt seine gepflegte Tenorstimme dem enttäuschten Verlobten der Lisetta, dem Kaufmann Sandrino, der allerdings am Happy End seine große Liebe wiedergewinnen darf. Bleibt zu nennen der ebenfalls von seinem Volk verstoßene Sultan Achmet, der, im Gegensatz zu seinem korsischen Herrscherkollegen, immerhin sein Barvermögen retten konnte, mit dem er die Welt zu korrumpieren versucht, dem Michael Müller-Deeken mit edler Baritonstimme und Hünenhaftigkeit Gestalt verleiht, die umso komischer wirkt, als er sich der Lebedame Belisa gegenüber als Schwächling erweist.
Jene Belisa, die der bereits erwähnte „Kloiber“ als mittlere Partie katalogisieren würde, wird von Feline Knabe zu einer Hauptrolle erhoben. Diese hochbegabte Sängerin schenkte dem Premierenpublikum nicht nur ihren nahezu grenzenlos modulationsfähigen Mezzosopran, nicht nur ihre hocherotische Erscheinung, sondern auch ihr ungewöhnliches Darstellungstalent dieser gebrochenen Figur, die sie der Minorität begabter Schauspieler-Sänger zugehörig sein lässt. Dank und Chapeau für diese Künstlerin: Wann darf sie endlich die Priesterin Adalgisa in Bellinis „Norma“ singen?
Die temperamentvoll musizierenden Allee-Theater-Musiker unter der Leitung von Fabian Dobler sollen das – nur in dieser Abfolge letzte – Kompliment erhalten für ihren unverwechselbaren Orchester-Charakter und ihre zuverlässige Präzision.
Text: Hans-Peter Kurr
Foto: J. Flügel