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Der fliegende Holländer

Opernloft
Der fliegende Holländer

Senta (Tammi Huber) hat mit Hilfe des Freundes (Edwin Cotton, l.) ihren Traummann (Konstantin Anikin) gefunden

Text: Hans-Peter Kurr | Foto: Opernloft, Inken Rahardt

Dramaturgie, verstanden als Lehre von den Gesetzmäßigkeiten des Dramas, die Wesen, Wirkung und Form dieser Gattung bedingen, ist im Musiktheater ein eigen Ding. Bei der Produktion des Wagner’schen Jugendwerkes „Der fliegende Holländer“ im Opernloft hat die Regie sozusagen alles seitenverkehrt angeordnet: Eine neurotische Senta, die offenbar seit Jahren von der Erfüllung ihrer Liebes-Sehnsüchte träumt, steht im Mittelpunkt. Daher ist der Holländer für sie die Erlösung, nicht sie für ihn. Das wiederum bedingt Textverlagerungen en masse, die zumindest konsequent gelungen sind.

Nun ist diese Oper kein mystifizierendes Stück mit Spuk, Zauber, Rache, Vergeltung und Sühne – Motivation, um in eine zuvor geordnete Welt einzudringen und sie zu zerstören, sondern, trotz seitenverkehrter Erlösungsidee und Untergangsstimmung, der expansive Ausdruck einer Ballade. Die Frage, ob es legitim ist, die Wagner’sche Kompositionskunst durch eingestreute Lale-Andersen-Schlager zu bereichern, soll an dieser Stelle fairerweise in den Bereich der zwischen den Generationen existenten Geschmacksentscheidungen verwiesen werden. Und die Produktionen des Opernlofts sind ja erklärtermaßen für junges Publikum gedacht.

Die hier ein wenig unkenntlich zerteilte Senta-Ballade bleibt in einem Sinn dennoch Kernstück der Oper, in dem nämlich, dass Senta als menschliches Wesen die Handlung völlig überzeugend dynamisch auflöst, als ein Wesen also, von dem Kraft und Wille ausstrahlen und damit letztlich Sieg im Untergang möglich ist!

Regisseur Sebastian Ritschel hat die vier übrigen Rollen – Erik, Daland, Mary, Steuermann – in der Partie eines farbigen „Freundes“ zusammengeführt, der, obwohl er Erik-Texte singt, Senta dem Holländer durch Bestechung zuführt, damit sie endlich ihre Ruhe finden möge. Und: Bis zur ebenfalls dramaturgisch seitenverdrehten Cavatine des Finales werden Wagners Vorgaben dergestalt freizügig interpretiert, dass ein Terzett hier den eigentlichen Abschluss bildet, das davon berichtet, ein wundervoller Tag sei nun zu Ende. Allerdings erscheinen Erörterungen über des genialen Textdichters und Komponisten Wagner dramaturgische Intentionen deshalb einigermaßen reizvoll, weil sie nicht nur über historische Perspektiven Auskunft geben, sondern von der jeweiligen Gegenwart neu gelöst oder zumindest akzentuiert werden k ö n n e n.

Die drei Sänger, die ihr Debut im Opernloft geben, sind prachtvoll: Edwin Cotton als Freund, Konstantin Anikin in der Titelpartie bzw. deren Resten und vor allem die dramatische Sopranistin Tammi Huber als Senta. Der dem Haus nach wie vor treu und zuverlässig dienende Markus Bruker mit seinen Mannen spielt Wagner und die Schlager gleichermaßen mutig live dazu und lässt nur ein einziges Mal im Rahmen einer ebenfalls stark reduzierten Ouvertüre orchestrales Playback zu. Ein sehr diskussionswürdiger Abend!

Weitere Vorstellungen: 25.10., 9.11. und 14.12. sowie 2014, jeweils 20 Uhr im Opernloft

3 Comments

  1. Hm. Also Ein Schlager-Mischmasch in einer kurzen Oper? Hätte ich nicht erwartet. Muss man sich vielleicht selber mal anschauen. Ich fühle mich jetzt doch aber etwas … abgeschreckt. Ma kucken.

    • ein gelungener Abend der zu zahlreichen und langen Gesprächen führte und ! führen muss !! Senta muss erlöst werden !! Überzeugend diese Idee des Regisseurs Sebastian Ritschel. Ein Abend zum Nachdenken – und das soll ja so sein bei einer Wagner-Oper! Dies denkt nicht ein junger Wagnerianer sondern ein ganz alter Wagnerfan. Geht hin und bildet euch ein eigenes Bild. Es lohnt sich! H.J.B.

  2. Wie kann man nur so singen? Und diese weibliche Stimme allein versetzt einen in diese Atmosphäre von Sehnsucht. Die ewig unerfüllte Sehnsucht nach dem einen. Oder ist es so, dass man die Liebe nie finden kann, weil sie nicht im Außen ist, sondern nur in sich selbst zu finden? Denn die Treue zum anderen kann nur Schmerzen bedeuten. Die Treue ist lediglich ein Konzept, Begegnung zu vermeiden. Auch materielle Sicherheit ist es nicht.
    Das Grundthema der Oper ist immer die Liebe, hier wird sie auch mal mit einem Schlager aufgelockert „unter der Laterne“. Ein Bekannter meinte: „Das ist doch was für Warmduscher!“ Wenn man aber mal einen amüsanten Abend will und nicht die vierstündige Oper, dann ist man hier richtig. Und die Sänger sind fantastisch.

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