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Der Ghetto Swinger

Hamburger Kammerspiele
Der Ghetto Swinger

Musizieren gegen die Unmenschlichkeit: Helen Schneider als Barsängerin Rosa und Mutter Coco Schumanns.

Der kleine Heinz Schumann versteht die Welt nicht mehr. Er darf nicht mitmachen in der neuen Bewegung, darf nicht, wie seine Mitschüler, in die Hitlerjugend eintreten. Denn der neunjährige Berliner ist „Halbjude“, wie die nationalsozialistische Definition lautet. Konstantin Moreth verkörpert ihn in der ersten Produktion der neuen Spielzeit in den Kammerspielen: In „Der Ghetto Swinger. Aus dem Leben des Jazzmusikers Coco Schumann“ spielt er mit jungenhaftem Charme voll naiver Neugier und bitterer Enttäuschung einen wachen Jungen, später ebenso überzeugend den lebenslustigen, oft übermütigen Musiker mit Spitznamen „Coco“ und schließlich mit ähnlich präziser Intensität den KZ-Häftling, der das Grauen der NS-Herrschaft hautnah kennenlernt.

Schon zu Beginn, wenn der kleine Heinz aus der deutschen Gesellschaft ausgeschlossen wird, singt Helen Schneider „Die Juden sind an allem schuld“. Ganz im eleganten Schwarz führt sie als Erzählerin und Barsängerin Rosa souverän mit den Melodien der damaligen Zeit durch den Abend, verkörpert auch die jüdische Mutter von Heinz „Coco“ Schumann, dessen Großmutter und seine Bekanntschaft Chérie. Konstantin Morath und Helen Schneider tragen mit ihren starken Auftritten entscheidend zum Erfolg von Gil Mehmerts Inszenierung bei, die im ersten Teil ganz gefällig ist, aber nicht zwingend die Bedrohlichkeit der ersten NS-Jahre widerspiegelt. Dabei gelingt die Kombination aus Schauspiel und Musik allen Darstellern, die zusammen als Band mit Sängerin auftreten und einzelne Personen aus der Lebensgeschichte von Coco Schumann spielen. Wenn der Vorhang in der Bühnenmitte aufgeht, befinden wir uns in der Bar Hasenschaukel oder in der Rosita-Bar, den angesagten Kneipen im Berlin der 1930er Jahre. Davor spielt sich in kurzen Szenen das Leben des Coco Schumann ab, den seine Musikbegeisterung auf die Bühnen der Bars und sein persönliches Verhalten schon bald in die Notizblöcke der Gestapo brachte.

Im zweiten Teil eine ganz andere Stimmung: Coco und seine Freunde werden in den KZs Theresienstadt und Auschwitz schikaniert und entkommen oft nur knapp dem Tod. Hier gelingen Mehmert eindringliche Szenen der Stille und des Schreckens. Auch in den KZs wird musiziert, Tod und Verderben werden mit kurzen kläglichen Tönen kommentiert – mehr gibt es nicht zu sagen. Am Ende der Premiere ertönt tosender Applaus für eine insgesamt gelungene, sowohl unterhaltende wie beklemmende Inszenierung. Beifall auch für den 88-jährigen Coco Schumann, der sich in der dritten Reihe kurz erhebt.

Text: Christian Hanke
Foto: Bo Lahola

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