Text: Hans-Peter Kurr / Foto: Hamburger Jedermann
Seien wir glücklich darüber, dass Hugo von Hofmannsthal, dem wir die Uridee für den Jedermann zuschreiben, nicht idealisiert hat, sondern hier – im Gegensatz etwa zu seinen Theaterdichtungen „Der Unbestechliche“ oder „Christinas Heimreise“ – eine realistische Geschichte erzählt, die in unserer Welt tagtäglich geschieht: Ein Mensch wird auf der Höhe seiner irdischen Laufbahn mit dem Tod konfrontiert, versagt zunächst, läutert sich dann und befindet sich in einer Lebens(end)station, innerhalb derer er sich bereits wähnte, auf dem wirklichen, geistigen Weg zur Menschwerdung.
Es ist Hofmannsthals großes Verdienst, dass er diesen seelischen Vorgang anhand einer unterhaltsamen Parabel so glaubhaft zeigt, dass der große Max Reinhardt sie seit der Uraufführung im Zirkus Schumann 1911 für würdig hielt, sie zu seinem zentralen künstlerischen Anliegen in Salzburg wie auch in Berlin werden zu lassen und dennoch Raum zu geben für zahlreiche Fassungen und Bearbeitungen, sei es in Berlin auf der Freilichtbühne Rehberge oder später in der Gedächtniskirche und in der Republik vielerorts.
So auch seit zwanzig Sommern in der herrlichen Hamburger Fassung von Autor Michael Batz (man ist durchaus versucht, das jährlich variierende und aktualisierte Werk Nachdichtung zu nennen), die zwar das Urthema erhält, mit der Urdichtung aber nur noch wenig zu tun hat, obwohl Tod und Teufel erhalten blieben, ohne die der Symbolcharakter verloren ginge.
Dass Gott inzwischen aus den Himmeln (auch dem über der Hamburger Speicherstadt) verschwunden ist, macht es den beiden allerdings nicht gerade leicht, ihre Aufgaben zu erfüllen.
Was hier zählt, ist die Verwandlung vom Materiellen ins Geistige, sozusagen Seelenchemie. Es bleibt immer noch Lustspiel, das ja – genau betrachtet – die strengste Form von Verwandlung auf dem Theater ist. Herrscherin dieses abendlichen Läuterungszaubers ist die Sprache, sie hält über das Mittel des Dialoges alles in Gang. Und deshalb bedarf es in dieser Produktion, unter der Wiederaufnahmeregie des temperamentvollen Erik Schäffler, der auch wieder hinreißend den Teufel gibt, hochrangiger Schauspielkünstler, die sich hier denn auch zusammengefunden haben, ohne dass wir sie an dieser Stelle einzeln würdigen könnten. Robin Brosch (bei aller Hochachtung vor der Gestaltung seiner plakativen Jedermann-Figur) fällt ein wenig hinter dem besten Jedermann der vergangenen zwanzig Jahre, dem salzburgwürdigen Rolf Becker ab, während Jantje Billker sich einer merkwürdigen „Rollenaufsagetechnik“ bedient, deren Motivation nicht recht zu analysieren ist. Aber: Wolfgang Hartmanns bewährter Tod ist wieder Schreck einflößend differenziert, wirklich genialisch auch, wie Wolf Frass die drei Figuren Bauer, Intendant und Kultur schauspielerisch voneinander abhebt.
Insgesamt behält man zu Recht (und das zeigte auch der gewaltige Schlussapplaus des durchgefrorenen Publikums) das Glück dieser genau temperierten und in allem so angenehm geschmackvoll eingerichteten Aufführung im Blut – und damit in bester Erinnerung.