Kinder & Jugend / Kritik

Der innerstädtische Wanderverein: Mobile Albania auf Abwegen

Fundus Theater

Neue Perspektiven auf eine vertraute Umgebung: urbanes Wandern mit Mobile Albania

Text & Foto: Angela Dietz

Es beginnt mit einem Warm-up im Hof des Fundus Theaters, das an Ski-Gymnastik oder einen Theaterkurs erinnert. Das Publikum: eine kleine Gruppe Erwachsener und Kinder, die hier Teilnehmer und Teilnehmerinnen einer Wanderung mit Mobile Albania durch den Stadtteil Eilbek sind.

Kinder und Erwachsene stehen im lockeren Kreis vor Till Korfhage und Roland Siegwald. Beide tragen derbes Schuhwerk, Gummi- und Wanderstiefel, die gleiche Basecap und einen mittelgroßen Rucksack auf dem Rücken, über der Schulter eine Alu-Klappleiter. Sie führen ein Plastikrohr vor, den Wanderstab. Unversehens wandelt er sich bei der Ouvertüre zunächst zum Gymnastikstab, mit dem man sich recken und strecken und anschließend geräuschvoll schütteln kann. Der runde, graue Stab hat eine weitere Bedeutung: Er sei demokratisch, man könne mit ihm lauschen, spicken und zeigen oder stecken; demokratisch gleich verwandlungsfähig?

Dann geht es im Gänsemarsch los, mit dem gebotenen Abstand, einer der beiden Wanderführer vorne weg, einer hinterdrein, auf dass niemand verloren geht. Die erste Straßenkreuzung verwandelt sich in eine Hörstation. Zuvor haben alle eine Straße nicht etwa via Zebrastreifen überquert, sondern sind auf den weißen Rechtecken einer Haltelinie spaziert, die von den Mobile Albania-Männern als historisch und von unseren Vorfahren überliefert deklariert wurden – das alles im lockeren, fast beiläufigen Ton. Fast im gleichen Atemzug mit dem Begriff „demokratisch“ folgen Anweisungen, was zu tun ist, nicht der einzige ironische Moment auf der Tour.

Vorgestellt wird ein unsichtbarer Akteur, der unsichtbare Steinwurm als roter Faden, dessen Spuren verfolgt und interpretiert werden. Seine hervorstechende Eigenschaft, wird behauptet, sei das Verdauen von allem. Auch Wortgemüse werde zu Humus durch ihn. Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen sprechen mit Hilfe des Rohrs durch den runden Kanaldeckel auf der Kreuzung und lauschen auf Antwort. Tatsächlich ist eine Resonanz wahrzunehmen, ähnlich der (Hör-)Muschel, die scheinbar das Meeresrauschen gespeichert hat und wiedergibt. Luftzug als Stadtrauschen.

Die Kreuzung wird kurzerhand gesperrt. Stehen auf der Straße und mit den Armen Zeichen geben wie der Verkehrspolizist in den 60er-Jahren des letzten Jahrhunderts – das muss reichen für die Sicherheit der Wanderer. Und das tut es, die Autos bleiben stehen, obwohl ihre Ampel auf Grün schaltet. Überliefert sind die Zwiegespräche der Wanderer mit dem Steinwurm nicht – zu weit voneinander entfernt finden sie statt. Aber zu sehen gibt es anschließend immer wieder Erhebungen inmitten der Gehwegplatten.

Die Wanderer verwandeln sich in Fotoapparate – eine interessante und amüsante Wahrnehmungserfahrung, bei der jeder die Augen schließt, klick, sie kurz wieder öffnet, sie wieder schließt und geschlossenen Auges zeichnet, was zu sehen war. Vielleicht sind es nur ein paar Kiesel am Boden und ein umgekehrter Plastikpott. Die so entstandenen Postkarten werfen die Foto-/Zeichenkünstler als Ansichtskarte in Hausbrief- oder Postkästen. Wie die Empfänger wohl auf die manchmal kryptisch anmutenden, manchmal erstaunlich genauen, gegenständlichen Zeichnungen reagieren werden?

Spielerisch erobert ‒ immer mit einem Augenzwinkern ‒ wird ein kleines Quartier, das durch die gemeinsamen Aktionen, den theatralen, symbolischen Zusammenhang und die fiktive Historie zu einem neuartigen Stadtraum wird. Ein fast beiläufiges Abenteuer. Zäune werden mit der Trittleiter überwunden, eintönige Hinterhöfe mutieren zu Aussichtsplattformen, ein Kindergartengelände zum Rastplatz und Straßenkreuzungen zum experimentellen Kurzfilm.

Erstaunlich ist, wie die beiden Akteure von Mobile Albania, Roland Siegwald und Till Korfhage, die ja in etlichen europäischen Städten unterwegs sind, dabei lokale Gegebenheiten durchaus treffend politisch interpretieren. Beim abenteuerlichen Gang entlang einer Baugrube, wo ein Wohnhaus errichtet werden soll, ist bei den vorhandenen Pfützen vom Freibad, das hier entstehe, die Rede. Eine jener öffentlichen Einrichtungen also, von denen in der jüngeren Vergangenheit Hamburgs etliche „verschwunden“ sind, zugunsten von Wohnungsbau.

Notizen am Rande: Etliche Passanten, die aus Hauseingängen treten, warten geduldig und amüsiert, bis die Wanderer im Gänsemarsch vorbeigezogen sind. Einige Hausbewohner fragen vom Balkon herunter, was das sei, was man dort mache. Eine Figur jedoch erscheint wie eine Wiedergängerin aus einer vergangenen, grauen Ära der Bundesrepublik: Man solle verschwinden – vom Hinterhofrasen – augenblicklich, sonst würde die Polizei gerufen, sofort!

Hinweis: Das November-Programm des Fundus Theaters findet komplett digital statt.

www.mobilealbania.de

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