Text: Hans-Peter Kurr | Foto: Bo Lahola
Hans Scheibner, Hamburgs großer Kabarettist, erzählt in der gelungenen Uraufführung „Die Geiselnahme“ an den Kammerspielen die Geschichte einer alten Dame, die von drei jungen Gangstern ihrer Handtasche beraubt wird und die sie sich – da früher Sportlerin – dann eigenhändig zurückerobert.
Der Chronist erlaubt sich, anlässlich dieser herrlichen Produktion aufgrund seiner Kenntnis der Geschichte den etwas ernsthafteren, ja bösen Hintergrund anzubieten: Durch die ständigen Forderungen von Steuern und Gebühren, denen sich die Armen im antiken Zweistromland zwischen Euphrat und Tigris ausgesetzt sahen, entstand ein neuer Beruf, der des Bankers. Realiter allerdings glich er eher einem Wucherer, denn er gab Darlehen und ließ sich der Menschen kargen Besitz als Sicherheit überschreiben. Er kündigte das Darlehen zu einem für ihn günstigen Zeitpunkt, an dem – etwa kurz vor der Ernte – die Preise am höchsten waren und niemand die Raten bezahlen konnte. So entwickelte sich bereits im vierten vorchristlichen Jahrtausend bei den Sumerern die erste Inflation! Denn: Den frühen Bankern fiel der Besitz der meist Ärmeren mühelos in den Schoß. An der anschließenden Inflation verdienten selbstverständlich die ohnehin Reichen, während viele Arme ihren Besitz oder sogar ihre Freiheit verloren, zu Besitzlosen oder gar versklavt wurden.
Diese Geschichte ist mehr als 6000 Jahre alt, klingt aber, als würde sie in unseren Tagen stattfinden, flankiert von noch raffinierteren Methoden wie etwa „Leerverkäufen“, die auch Scheibner apostrophiert. Klar, dass der Kabarettist aus Anlass seines 60. Autorenjubiläums daraus eine Komödie entwickelt, eine schwarze notabene, die mit saftigen Schauspielerrollen gewürzt ist und in der Zusammenfassung der Kammerspiel-Chefdramaturgin Anja del Caro folgendermaßen (gekürzt) klingt: „Drei Rentner – ein Problem. Alfred, Manfred und Bernie haben ihrem Anlageberater Mönchmeier vertraut und ihre Ersparnisse ebenso verloren wie der Kietzlude Ronaldo mit seiner Nutte Alicia. So beschließen sie, unabhängig voneinander, Mönchmeier in eine einsam gelegene Waldhütte zu entführen und ihr Geld zurückzuerpressen.“
Aus diesen Zutaten wird, mithilfe des Regisseurs Hanns Christian Müller, eine wohlschmeckende Satire-Suppe gekocht und mit viel politischem Pfeffer gewürzt.
Das Hauptverdienst des Abends aber liegt eindeutig beim sechsköpfigen Schauspielensemble, das selbst in der Medienstadt Hamburg seinesgleichen sucht: Alexandra Kamp, Tim Grobe, Detlef Heydorn, Dietmar Horcicka, Olaf Kreutzenbeck und Klaus Peeck sind himmelstürmende Spitze. Am Premierenabend: Standing Ovations.