Text: Christian Hanke | Foto: Thomas Grünholz
Was für eine Szene! Das junge Liebespaar will in den Wirren der russischen Revolution auf einem kleinen Provinzbahnhof auf der Flucht vor einem gestrengen Gutsbesitzer in einen Zug steigen. Durch den Rauch der einfahrenden Lokomotive verlieren sich die Liebenden für einen Moment aus den Augen – und finden sich nicht wieder. Als der Dampf sich legt, kann Sonja ihren Kostja nicht mehr sehen. Er bleibt verschwunden.
Wieder und wieder erzählt Sonja, inzwischen hoch dekorierte Chefin einer Buchhandlung in Paris, in André Roussins Komödie „Die Lokomotive“ ihrer Familie dieses Herz zerreißende Erlebnis. Kostja, so muss sich Sonjas Ehemann Ernest – geistvoll, aber nicht sonderlich lebenstüchtig – immer wieder anhören, sei die Liebe ihres Lebens.
Als eben dieser Kostja plötzlich wieder auftaucht, erweist sich die Romanze mit unglücklichem Ausgang am Bahnhof schnell als ein für wahr gehaltener Traum. Kostja, ein notorischer Wodkatrinker und Komplett-Versager, muss darin als Liebhaber einer Love-Story herhalten, die andere erlebten. Die Geschichte einer Liebesillusion, die eine erfolgreiche Lady beharrlich aufrecht erhält, um sich schließlich mit ihrem darunter leidenden Gatten auszusöhnen, hat das Zeug zu einer guten Komödie. Jürgen Wölffers Inszenierung bleibt allerdings weitgehend spannungslos, auch weil in den Hauptrollen nur Hans Peter Korff (Ernest) und Gisbert-Peter Terhorst (Kostja mit phänomenalen Italienischkenntnissen!) zu überzeugen wissen. Anita Kupsch verharrt in der Hauptrolle als Sonja zu sehr in all zu oft erprobten Komik-Stereotypen.