Text: Dagmar Ellen Fischer | Foto: Sandra Then
Der eine hält sich für Albert Einstein und streckt gelegentlich die Zunge heraus, der andere glaubt, er sei Sir Isaac Newton und mag das Schachspiel. Die beiden Insassen einer psychiatrischen Privatklinik suchen gezielt den Kontakt zu einem dritten Patienten: Johann Wilhelm Möbius, ebenfalls Wissenschaftler – ihm erscheint der König Salomo in erstaunlicher Regelmäßigkeit.
Die drei Männer irren durch die Anstalt von Fräulein Dr. med. Mathilde von Zahnd und bringen dort nacheinander die ihnen zugeteilten Krankenschwestern um – so die Ausgangslage in Friedrich Dürrenmatts berühmtem Drama „Die Physiker“. Die Morde an den drei Schwestern rufen einen Polizeibeamten auf den Plan, doch der kann keine Mörder verhaften, sondern nur Täter identifizieren – Unzurechnungsfähige werden nicht inhaftiert. Dass die Drei ihre Verrücktheit nur vortäuschen, erschließt sich dem Publikum erst nach und nach.
Die „Komödie in zwei Akten“ ist ein Geniestreich des namhaften Schweizer Autors; 1961 geschrieben, 1962 im Schauspielhaus Zürich uraufgeführt, gehört sie seither zu den erfolgreichsten deutschsprachigen Theaterstücken. Im Mittelpunkt steht die Frage nach einer moralischen Verantwortung der Wissenschaft, aber auch die Fragwürdigkeit, Forschung in den Dienst einer Ideologie zu stellen. Verständlich, dass „Die Physiker“ 70 Jahre nach dem Abwurf der ersten Atombombe auf dem Spielplan des Schauspielhauses auftauchen; unverständlich hingegen, dass es in einer belanglosen Inszenierung durch Sebastian Kreyer passieren muss.
In der ersten Hälfte dominiert der Eindruck, der Regisseur Jahrgang 1979 habe sich nur an der Struktur des Dramas verhoben. Der zweite Teil jedoch macht klar: Er scheint die stückimmanente drohende Katastrophe in seine Regiearbeit integrieren zu wollen. War der Anfang nur hier und da mit peinlichen Plattitüden gespickt (Beispiel: aus der anzutretenden „Stellung als Missionar“ wird die „Missionarsstellung“), so gerät der Konkurrenzkampf der beiden Pseudo-Physiker Einstein und Newton – hinter denen sich Spione aus West und Ost verbergen – um den Zugriff auf die Erfindungen von Möbius zum endlosen Gehampel mit immer neuen Pistolen, die aus immer anderen Löchern in der Tapete gezerrt werden. Kasperletheater ist eine komplexe Angelegenheit im Vergleich zu dieser albernen Agenten-Nummer. Auf ähnlichem Niveau: ein Kopierer am Rand der Bühne, damit das Publikum sehen kann, auf welchem Gerät die irre Irrenärztin Möbius‘ Aufzeichnungen kopiert hat – während sie erzählt, dass sie sie kopiert hat …
Verblüffend, wie schlecht Kreyer die Figur des Fräulein Ärztin inszeniert, so unterirdisch, dass man ernsthaft anfängt darüber nachzudenken, wieso die sie verkörpernde Schauspielerin Anja Laïs es in ein Engagement an diesem Haus geschafft hat. Überzeugend an diesen pausenlosen anderthalb Stunden ist allein das Bühnenbild: ein überdimensionales Puppenhaus, mit gestaffelten Ebenen und von allen Seiten zugänglich, dreht sich als zweckentfremdete Villa im Niemandsland. Den viel zitierten Satz von Friedrich Dürrenmatt muss der Regisseur gründlich missverstanden haben: „Eine Geschichte ist dann zu Ende gedacht, wenn sie ihre schlimmstmögliche Wendung genommen hat.“ Apropos Ende: höflicher Applaus und verhaltene Buhrufe.
Weitere Vorstellungen: 29.4., 2., 7. und 23.5. um 20 Uhr, 10.5. um 15 Uhr, Deutsches Schauspielhaus