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Die Stunde da wir nichts voneinander wußten

Thalia Theater
Die Stunde da wir nichts voneinander wußtenvon Peter HandkePremiere am 30. April 2015 im Thalia TheaterRegie Tiit Ojasoo & Ene-Liis Semper

Absurd, überspitzt und etwas beliebig: Ein Koffer erweckt Begehrlichkeiten

Text: Anton Adrian | Foto: Armin Smailovic

Wie soll ein Stück inszeniert werden, das lediglich aus Regieanweisungen besteht? Die estnischen Regisseure Tiit Ojasoo und Ene-Liis Semper stellen sich der Herausforderung, das dialoglose Stück von Peter Handke am Thalia Theater zu inszenieren. Dafür greifen sie in die Vollen: Mit zwanzig (!) Mitgliedern des Ensembles, zahllosen Statisten und einem Chor bespielen sie die große Bühne. Handkes Regieanweisungen werden nicht von den Schauspielern gesprochen, die nur laut lachen und öfter schreien, sondern von einem im Publikum verteilten Chor gesungen. Der Einfall ist gut und die Wirkung hat etwas leicht Verstörendes, aber der Sinn der Worte bleibt dadurch meist unklar, wie so vieles an diesem Abend.

„Die Stunde da wir nichts voneinander wußten“ beginnt zurückhaltend. Graue Menschen im schnelllebigen Alltag einer Großstadt: Alle laufen, ‘mal im Gleichschritt, ‘mal durcheinander, alle in Eile, alle gestresst. Sobald einzelne in diesem hektischen Strom nicht mitmachen können oder wollen, werden sie zu Störfaktoren – und werden auch schon einmal einfach von der Bühne gekehrt.

Das Grau-in-Grau der Anfangsszene wird zunehmend aufgelöst, die Stille wird durch Straßenlärm und dumpfe Bässe durchbrochen. Menschen eilen weiter, manchmal treffen sie aufeinander, selten finden sie zueinander. Müllmänner kämpfen mit Zeitungen im Wind, Karrierefrauen auf Stöckelschuhen mit Handy, Akten, Tasche und Kaffee. So weit, so klar. Was dann folgt, ist weniger klar, sondern wird immer skurriler: Businesstypen auf Skateboards, Nonnen mit Chanel-Taschen, Blackfacing trifft auf Farbige. Es wird gerannt, getanzt, geschrien und gezappelt, gefeiert, geheiratet, gebetet, Krieg gespielt und so weiter und so fort …

Bis zum Schlussbild nach weit über zwei Stunden, sind die anfänglichen Alltagsbeobachtungen fast völlig dem Absurden und Überspitzten gewichen, was leider etwas sehr Beliebiges und Belangloses hat. Alle flippen immer mehr aus, irgendwann sind alle nackt, irgendwann kommen immer mehr religiöse Anspielungen. Ist das der Lauf dieser Zeit? Am Ende erhebt sich der im Zuschauerraum verteilte Chor und singt sakral-anmutend „Nanana“. Was uns das sagen soll? Es bleiben: Fragen.

Weitere Vorstellungen: 3.5. um 19 Uhr, 3.6. um 20 Uhr, 21.6. um 19 Uhr, 26./29.6. um 20 Uhr
und 4.7. um 19:30 Uhr, Thalia Theater

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