Text: Stephanie Schiller | Foto: Godot/Schiller
Die Arbeitsteilung ist klar: Sie besticht, er raubt. Das klappt fast immer. Diesmal nicht. Beim Überfall gehen die Sirenen los. Der Ganovenkönig muss flüchten. Seine Frau ist sauer. Vor allem auf den Polizisten, dem sie Geld gegeben hatte, damit der eben diese Sirenen ausschaltet. Man hat es wahrlich nicht leicht als Königin und König. Diese ganze Verantwortung für das Reich und die Familie, die Schwiegermutter, die Tochter, Tag für Tag … Auf dem HoheluftSchiff regierte das ungleiche Ganovenpaar (sie ist gut zwei Köpfe größer als er) unter der Regie von Stephanie Grau jetzt gegen alle Sirenen-Rufe äußerst erfolgreich – ein Ensemble aus erwachsenen Laiendarstellern (in ihrer Mitte die 12-jährige Nellie Fischer-Benson als Tochter) auf der Bühne des Zeppelintheaters, auf der sonst nur Kinder spielen. In ihrer Spielfreude standen die Großen den Kleinen in nichts nach.
„Es gibt Geschichten, die niemand erzählen will und die niemand hören will, Geschichten, die es nicht geben sollte, aber die es geben wird, solange Menschen auf Erden leben“, stimmt der Geschichtenerzähler (Klaus-Christoph Mosecker in einer Doppelrolle als Conferencier und Großmutter) das Publikum auf ein Spektakel ein, das sich wenig später als skurrile Parabel auf das Böse in der Welt entpuppt. Der Ganovenkönig (Ralf Bonow) hat 25-jähriges Dienstjubiläum, und die Ganovenkönigin (Frauke Hartmann) will ihm einen Wunsch erfüllen. Alles, was der König besitzt, ist – wie es sich für einen König gehört – aus Gold. Mit einer Ausnahme. Aber das soll sich jetzt ändern: „Ich wünsche mir ein goldenes Herz“, sagt er. Dass er damit nicht sein eigenes meint, ist schnell klar. Das soll so bleiben, wie es ist: kalt. Das goldene Herz will er natürlich einem anderen Menschen entnehmen. Grobschlächtig, mit einem Messer. Wenn sich doch nur ein Wesen mit goldenem Herzen finden ließe! Die Königin engagiert für die Suche den sowieso schon bestochenen Polizisten (Detlev Kluge), der sich nach Feierabend an die Arbeit macht.
Julchen (Nellie Fischer-Benson), die Tochter des Ganovenkönigs und in wenigen Tagen zwölf Jahre alt, durchschaut ihre Eltern genau. Sie verbringt die meiste Zeit mit ihrer Großmutter, die vom Königspaar genauso schlecht behandelt wird wie sie selbst. Deshalb sucht sie den Richter (Andreas Örtel) auf, nicht ahnend, dass der ebenso korrupt ist wie alle anderen Erwachsenen – und mit dem König gerade über den Kauf von Julchen verhandelt hat (sie soll, wie ihre elf Geschwister vor ihr, an ihrem 12. Geburtstag verkauft werden). Sie will sich von ihren Eltern scheiden lassen. Ob das möglich sei? Ob der Richter ihr helfen könne? Solange er selbst nicht bei seinen illegalen Machenschaften ertappt wird, ist dem Richter alles recht: „Wir leben in einem Rechtsstaat“, sagt er. „Da ist alles möglich.“
Zum Showdown kommt es an Julchens Geburtstag. Ausgerechnet sie ist einer dieser seltenen Menschen mit einem goldenen Herzen. Für den Ganovenkönig also ein leichtes Spiel: ein wenig Schlafmittel ins Glas und das Messer gezückt! Doch so weit will die Königin dann doch nicht gehen. Die eigene Tochter! Sie lässt ihren Mann zwar gewähren – doch nur, um ihn dann auf frischer Tat von Polizist und Richter ertappen zu lassen. Ihr selbst bringt das keinen Vorteil. Sowohl König als auch Königin werden zum Tode verurteilt und sofort und vor Ort geköpft. Dass der Richter zum neuen König ernannt wird, garantiert eine Fortsetzung der Geschichte.
In nur drei Monaten hat Regisseurin Stephanie Grau (assistiert von Friederike Falk) aus einer Gruppe von Eltern von „Zeppelin-Kindern“ und anderen theaterinteressierten Erwachsenen ein spielfreudiges Ensemble gemacht, das in keinem Moment an Bühnenpräsenz verlor, mit musikalischen Einlagen faszinierte (Frauke Hartmann singend am Klavier, herrlich! Nellie Fischer-Benson mit ihrem die Großmutter aufmunternden Lied ebenfalls sehr beeindruckend) und sicherlich nicht das letzte Mal gemeinsam auf der Bühne stand. „Die Tochter des Ganovenkönigs“ ist bereits zu Gastspielen in Wilhelmsburg und St. Pauli eingeladen. Mit dabei sind dann auch wieder Krischa Weber am Cello und Ulrich Kodjo Wendt am Akkordeon, deren Live-Musik aus Ad de Bonts schwarzer Komödie auch musikalisch ein kleines Juwel machte.