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Die Zofen

Hamburger Sprechwerk
Die Zofen

Die Zofen (Andrea Bergmann, l., und Doris Maria Kaiser) und ihre gnädige Frau (Heidrun Fiedler, r.)

Text: Hans-Peter Kurr / Foto: Monika Barth

In seinem Tagebuch eines Diebes schreibt Jean Genet mit apodiktischer Offenheit: „Um mich zu verstehen, ist eine Komplizität des Lesers notwendig.“ Ein starkes Wort, aber im Grunde eine Selbstverständlichkeit, da es erklärtermaßen auch für den Theaterbesucher gilt. Jedes Kunstwerk bedarf, um verstanden zu werden, der mitvollziehenden Komplizenschaft des Lesers, Hörers oder Betrachters. Aber ist es Kunst, was dieser verzweifelte Ex-Zuchthäusler und ruhmredige Einbrecherkönig a. D., dieser pedantisch moralisierende Sänger des absoluten Verrates in weitschweifiger, oft faszinierender Prosa in die betroffene Welt hineinsetzt?

Fragen, die die Inszenierung der „Zofen“ im Hamburger Sprechwerk durch Gabriele Weng ebenfalls nur teilweise zu beantworten vermag, obwohl gerade der Alterstausch der drei handelnden Figuren, deren Psychogramme wir hier kennenlernen, recht schlüssig ist: Andrea Bergmann als Solange und Doris Maria Kaiser als Claire sind hier „die Alten“, Heidrun Fiedler die Jüngere, konträr zu Genets ursprünglicher Intention. Aber seine Stücke – dieses und auch das männliche Pendant „Unter Aufsicht“ – vertragen vielerlei Interpretation. In Paris wurden sie gar gegenläufig inszeniert: Das Drei-Männer-Stück mit Schauspielerinnen, das Drei-Frauen-Stück mit Männern besetzt. Bei Gabriele Weng und ihrem starken weiblichen Team geht der Versuch jedenfalls erfreulich auf.

Und das liegt nicht zuletzt an diesem ver-rückten Autor: Genet ist nicht der erste, den die Menschheit und speziell unser Kontinent produziert, um ihn mit mehr oder weniger Anstand, gescheit oder töricht, verdauen zu müssen. Er ist mitsamt seiner Schreibkunst eine Warnfigur. Er hält unserer verzerrten Welt einen noch verzerrteren Spiegel entgegen, worin alles martialisch verdreht oder kolossal grotesk auf dem Kopf steht. Die Figuren Solange und Claire in ihrer Beziehung einerseits zueinander und zu ihrer „Gnädigen Frau“ andererseits werden mit dringlichem Raffinement und munter-grausiger Übersteigerung deutlich gemacht. Was also den physischen und psychischen Zusammenhang betrifft: Konzentrierte Kolportage, ein traumähnliches und kindliches Spiel im Spiel hilft den Zuschauern dabei, dem grässlichen Stoff die sonst schwer ertragbare Indiskretion zu nehmen, denn naturalistisch vorgeführt, wäre die Sache kaum auszuhalten. Ein wirklich bedeutsamer Theaterabend.

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