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Edels Garten

3. Wilhelmsburger Wintermärchen von Julius Jensen und der Theaterbox
Wintermärchen

Polly (Angelika Baumgartner) lugt über den Zaun, Stein Grummel grummelt (Jonas Vietzke).

„Wir wollten keinen Sozialrealismus“, sagt Regisseur Julius Jensen über sein Theaterstück zum Thema „Integration und Zusammenleben“. Bereits zum dritten Mal hat er im Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg mit seinem Team Theaterbox ein Stück produziert. „Edels Garten. Die Geschichte von Polly, Grummel und der Wanderblume“ ist eine poetische Geschichte über Freundschaft und die Welt, die sich dauernd wandelt. Entstanden ist es in Kooperation mit Schulen, Kitas und dem Stadtteilkulturzentrum Honigfabrik in Wilhelmsburg. Die Kinder sind in den Entwicklungsprozess eingebunden, sehen und hören Arbeitsproben. Für Dramaturgie und Spiel, Bühne (Annette Haunschild und Azizah Hocke), Kostüme (Patricia Royo), Musik (Benjamin Branzko, Gitarre) und Licht (Sönke C. Herm) hat Regisseur und Autor Julius Jensen ein herausragendes Team um sich geschart.

Während der Vorrecherche konnten sich Jensen, Stanislava Jević (die Dramaturgin am Jungen Schauspielhaus ist für das Konzept mitverantwortlich) und Dramaturgin Esther Kaufmann einige Male wundern. „Heterogenität und Ausgrenzung sind für Grundschüler gar kein Thema“, musste Jensen feststellen, als er die Kinder in den Workshops fragte, was es für Unterschiede unter ihnen gäbe. „Die Gruppen sind in sich schon pluralistisch.“ Das ist in einem Stadtteil mit 50 Prozent Migrationsquote kein Wunder, zumindest in der jungen Generation. Baff waren auch manche Lehrer, als sie ihre Kinder so ruhig und aufmerksam in den Workshops erlebten wie nie zuvor.

Das herausragende Thema für Fünf- bis Zehnjährige ist die Sehnsucht nach einem Freund. „Sie möchten nicht allein auf der Welt sein“, erläutert Jensen seinen Eindruck. So ist bei der poetischen Übertragung der abstrakten Begriffe Integration und Zusammenleben ein Freundschaftstriangel aus Stein, Hund und Wanderblume geworden. Polly (Angelika Baumgartner) und Grummel (Jonas Vietzke) leben im Garten des abwesenden Herrn Edel. Die Hündin passt auf und sorgt für die Ordnung, die der uralte Stein vorgibt. Eindringlinge wie der Krabbelkäfer (Benjamin Branzko) werden weggebellt. Doch als die zauberhafte Wanderblume (Charlotte Pfeifer) erscheint, siegt Pollys Neugier. Die Freiheit, die sie verkörpert, lässt die Hündin die Gartengrenzen infrage stellen. Die Wildnis ruft. Vieles gerät durcheinander in Edels Garten und fügt sich doch zum Schluss wieder zu einer neuen Ordnung, in der jeder seinen Platz hat.

Rund 400 Grundschüler diskutierten Textskizzen, Figurenentwürfe und Bühnenbild mit den Theaterbox-Leuten in kleinen Workshops. „Die Kinder hatten viele Handlungsideen“, erzählt Dramaturgin Esther Kaufmann, „etwa, dass sich die drei Figuren erst nicht verstehen oder dass der Stein, ein großer Findling, mal aufstehen muss.“ Einiges setzten die Kinder auch malerisch um, derzeit im Café Pause in der Honigfabrik zu sehen. Die jungen Experten verblüfften Regisseur und Team auch mit tiefgehenden Interpretationen und einem manchmal herausragenden Abstraktionsvermögen. Kostproben: Der Stein will seine Seele tauschen. Und die grün-weißen Flatterband-Vorhänge stellen Blätter und Lianen dar, markieren die Dschungelgrenze.

Nach den Dezember-Vorstellungen in der Honigfabrik ist das Wilhelmsburger Wintermärchen eigentlich abgespielt, doch das Team Theaterbox wird es lediglich einmotten. „Wer weiß, vielleicht können wir es später wieder aufgreifen“, sinniert Esther Kaufmann. In Planung ist außerdem schon ein Sommermärchen für Jugendliche.

Jensen will seine anspruchsvolle Theaterarbeit in Wilhelmsburg weiter etablieren. Das ist allerdings nicht so einfach. Zwar gibt ihm der Erfolg recht: Mit dem ersten Stück in der Wilhelmsburger Reihe, der Bühnenfassung des Bilderbuchs „Der blaue Stuhl“ von Claude Boujon, landete er beim Münchner Theaterstückverlag. Und die Kindertheaterversorgungslücke, die er in seinem Konzept für die Elbinsel konstatiert und schließen möchte, ist kein bloßes konzeptionelles Konstrukt für potentielle Geldgeber. Denn außer der erwähnten kontinuierlichen Zusammenarbeit mit Schulen (Fährstraße, Elbinselschule) und Kitas ist auch das Dutzend Vorstellungen von „Edels Garten“ im Vorwege so gut wie ausverkauft. Sogar eine Kita-Gruppe aus Ottensen schafft den „Sprung über die Elbe“ in umgekehrter Richtung.

Doch die Crux ist, wie immer bei freien Produktionen, die Finanzierung. Ohne Kulturbehörde und Stiftungen, die teilweise schon mehrfach im Boot waren, wäre das Wilhelmsburger Wintermärchen nur eine schöne Idee für einen Stadtteil mit Bildungsproblemen geblieben. Hilfreich und nicht eben üblich ist auch die gute Kooperation mit der Honigfabrik, etwa die vierwöchige Saalnutzung.

Text: Angela Dietz
Foto: Oliver Menk

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