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Ein Pfund Fleisch

Deutsches Schauspielhaus
Ein Pfund Fleisch

Shylock (Dominique Horwitz, l.) fordert von Antonio (Michael Prelle, r.) das blutige Pfand.

Albert Ostermaier – Lyriker, Theaterdichter, Festivalleiter, Fußballtorwart – eine schillernde Persönlichkeit, erhielt von der Interimsleitung des Deutschen Schauspielhauses den Auftrag, die zweite Uraufführung der just begonnenen Spielzeit für das „Spielfeld“ zu schreiben, jene provisorische Bühne, auf der während der Umbauarbeiten agiert wird.

Dieses Spielfeld, so äußert er in einem Interview, erinnere ihn an Shakespeares Globe Theatre. Und so war es nur folgerichtig, eine Vorlage aus dessen reichem Fundus zur Erfüllung der Auftragsarbeit heranzuziehen. Die Wahl des Autors fiel auf den „Kaufmann von Venedig“, und der Einakter trägt denn auch als Titel „Ein Pfund Fleisch“, jenes Herzfleisch, das bei Shakespeare dem Schuldner aus der Brust geschnitten werden wird, sollte er seinen monetären Verpflichtungen nicht nachkommen.

An uns als Zuschauer und Zuhörer werden ähnlich hohe Anforderungen gestellt wie an die Darsteller: Wir haben gefälligst zu begreifen – um der in der globalen, entmenschlichten Finanzwelt wirr durcheinanderpurzelnden Handlung etwas abgewinnen zu können –, dass „man jede Katastrophe beschleunigen muss, um etwas zu verändern, und der finale Crash der Urknall einer neuen Welt ist“, so Ostermaier. Dessen Interpretation gemäß ist der umgestaltete Zuschauerraum „Börsenparkett und Boxring“ zugleich. Es erweist sich als hilfreich, sich bei dem knapp neunzigminütigen, von Dominique Schnizer inszenierten Stück bewusst zu machen, dass jeder Dramatiker ein Produkt seiner Zeit und des darin herrschenden Zeitgeistes und daher am besten wirksam ist, wenn er Strömungen im Denken und Fühlen der ihn umgebenden Gesellschaft spiegelt. Denn: Die Natur jedes Bühnendramas verlangt, dass es sich leicht und verständlich erfassen lässt. Dass das tatsächlich bei dieser Vorlage und der darin enthaltenen schier chaotischen Überfülle von Handlungssträngen dennoch möglich ist, ist den beeindruckenden Fähigkeiten der Schauspieler zu verdanken, die – mehr dokumentierend als spielend – letztendlich Klarheit in das Parkett bringen: Dominique Horwitz als boxender Shylock, Michael Prelle als homosexueller Antonio, begleitet von den bewährten Ensemblemitgliedern Maria Magdalena Wardzinska, Hanns Jörg Krumpholz und Stefan Haschke.

Da alle guten Stücke nur projizieren, was in der Welt bereits erkennbar ist, also Spiegel der Zeit sind, da sie darüber hinaus vom Wesen des Menschen, seinem Verhältnis zu seinen Mitmenschen, zum materiellen und geistigen Universum handeln sollten, und Ostermaier die minimalen dramaturgischen Forderungen erfüllt, ist dieser Theaterabend lehrreich.

Text: Hans-Peter Kurr
Foto: Lea Fischer

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