Text: Sören Ingwersen | Foto: Margaux Weiß
Leere Stühle sind beim Eröffnungsempfang des fünftägigen Festivals „Spurensuche“ im Fundus Theater Mangelware. Etwa 120 Theatermacher sind bis zum 29. Juni im Kinder- und Jugendtheater in der Hasselbrookstraße zu Gast. Für Theaterleiterin Sibylle Peters der „Höhepunkt einer dreijährigen Testphase“. Gemeint ist das hauseigene Format des „Forschungstheaters“, bei dem es darum geht, mit spielerischen Aktionen ein besseres Verständnis für komplexe Problemfelder zu entwickeln. Ort des „Forschungstheaters“ ist der neue Raum direkt hinter der Bühne, in den Peters live hineinfilmt. Das Kamerabild zeigt eine offene Tür auf dem geschlossenen Vorhang: „Nun ist unser Haus groß genug für die ,Spurensuche‘!“ Die kleine Performance zur Begrüßung im Theatersaal kommt gut an.
In den nächsten Tagen werden auf dem Festival der Assitej (Association Internationale du Théâtre pour l’Enfance et la Jeunesse), das seit seiner Premiere 1992 auf Kampnagel erstmals wieder in Hamburg stattfindet, herausragenden Produktionen des freien deutschsprachigen Theaters für Kinder und Jugendliche gezeigt. Hinzu kommen Workshops, Vorträge und Inszenierungsgespräche. Am Eröffnungstag steht eine Hamburger Inszenierung gleich zweimal auf dem Programm: die 2013 mit dem Kindertheaterpreis der Hamburgischen Kulturstiftung ausgezeichnete Produktion „Jo im roten Kleid“ vom Theater Triebwerk.
Das Kleid seiner Mutter möchte er anziehen. Das mit dem tiefen Ausschnitt. Und sich dann vor dem Spiegel bewundern. Muss Jo sich dafür schämen? Ein Junge mit vielen Fragen, die sich mit dem Satz „Wann ist ein Mann ein Mann?“ vielleicht am besten auf den Punkt bringen lassen. Heino Sellhorn liest die Zeilen des berühmten Grönemeyer-Songs vom Blatt. Uwe Schade hat sich derweil – hinter der Papierwand nur als Schattenriss sichtbar – in Schale geworfen und sein begehrtes Objekt übergestreift: das rote Kleid.
Mit großer Eindringlichkeit gelingt es Regisseurin Nina Mattenklotz und den beiden hervorragenden Darstellern, gängige Geschlechterrollen zu hinterfragen und zugleich eine Geschichte vom Erwachsenwerden zu erzählen. Bruchstücke von Erinnerungen blitzen auf. Was ist peinlich? Dem eigenen Vater ähnlich zu sehen? Wovor fürchtet man sich? „Ich habe Angst rauszugehen. Ich habe Angst, dass mich keine mag“, sagt Jo. Im Dunkeln steht sein Bühnenpartner, diabolisch nur von einer Taschenlampe angeleuchtet: „Verpiss dich! Dich will hier niemand haben!“ Kurz zuvor hat Pfundskerl Sellhorn – der auch als tapsige Ballettprinzessin eine gute Figur abgibt – sich die Springerstiefel angezogen. Sein Stechschritt knallt bedrohlich auf dem Parkett. Hier ist der Mann ganz Mann. Und Jo das Opfer. Röcheln, Prusten, Schnaufen. Die Loop-Maschine nimmt die Geräusche auf und verlängert sie zu einem Kopfkino der Gewalt. Dann greifen sie wieder zu ihren Instrumenten, Schade zum Cello, Sellhorn zum Kontrabass. Denn die Musik ist wesentlicher Bestandteil dieses Stücks für Jugendliche ab 10 Jahren. Ein Stück, das nachdenklich macht, aufrüttelt, in Sekundenschnelle Stimmungen zaubert und nach 45 Minuten leider viel zu schnell vorbei ist.
Jo hat den Mut, sich und seine Geschlechtszugehörigkeit in Frage zu stellen, neu zu erfinden. „Alles nur erfunden“ ist auch das Thema der „Spurensuche“, die noch bis Samstag spannende Inszenierungen zeigt: „Ernesto Hase hat ein Loch in der Tasche“ mit dem Ensemble Materialtheater, Stuttgart (26.6, 10 Uhr), „Ein Bodybild“ mit dem Theater Marabu, Bonn und dem cobratheater.cobra, Hamburg und Hildesheim (26.6., 20 Uhr), „Mutige Prinzessin Glücklos“ mit dem Theater Ozelot, Berlin (27.6., 10 Uhr), „Die Daniel Schneider Show“ mit dem Theater Mummpitz, Nürnberg (27.6., 19 Uhr), und „Trau Dich!“ mit der Kompanie Kopfstand, Berlin (28.6., 18 Uhr).
Mehr Infos und das vollständige Programm zum Festival „Spurensuche“ finden Sie hier.