Text: Dagmar Ellen Fischer
„Ihr Bürger dieser Stadt!“ Verzweifelt wendet sich Ödipus an sein Volk – das Hamburger Publikum auf Kampnagel – und nimmt es in die Pflicht als „Förderer“, dem das Gemeinwohl doch am Herzen liegen müsse. Wie wahr. Denn auch die fünfte Ausgabe des Hamburger Theater Festivals wird ausschließlich aus privaten Geldern finanziert. Die ermöglichten zur Eröffnung ganz großes Theater: „Ödipus Stadt“, vom Ex-Thalia-Regisseur Stephan Kimmig 2012 am Deutschen Theater Berlin uraufgeführt. Nichts Geringeres als vier antike Dramen von drei altgriechischen Autoren dampfte er in Zusammenarbeit mit dem Dramaturgen und Autor John von Düffel zu zweieineinhalb Stunden pausenlosem Theater ein, von dem man keine Minute missen möchte.
Für Ödipus geht es bekanntlich nicht gut aus: Gemäß Orakelspruch tötet er seinen Vater unwissentlich, zeugt mit der eigenen Mutter vier Kinder und sticht sich im Moment der Erkenntnis die Augen aus. Auch auf den Nachkommen liegt ein Fluch, so sterben die Söhne im Zweikampf, die Töchter werden vom eigenen Onkel verfolgt. In dieser männlichen Rolle des Kreon brilliert Susanne Wolff, ebenfalls mit Hamburger Thalia-Vergangenheit, zwischen kluger Besonnen- und grenzenloser Machtgeilheit. Ihr Gegenüber ist Ulrich Matthes, ein atemberaubend differenzierter Ödipus.
Die Eröffnung geriet also zum Fest, der Startschuss von Festival-Initiator Nikolaus Besch hieß „Wir feiern Theater!“ Der Erste Bürgermeister Olaf Scholz begrüßte die Anwesenden mit Erinnerungen an Peter Zadek und dem persönlichen Bekenntnis „Mein Neid ist Ihnen gewiss“, damit jene ansprechend, die sämtliche Produktionen des Hamburger Theaterfestivals in den kommenden vier Wochen sehen dürfen.
Und dann gab es noch jene wenigen männlichen Zuschauer, auf die das tatsächlich am Theater interessierte Publikum gut und gerne hätte verzichten können, die offensichtlich nur mit eiserner Disziplin zweieinhalb Stunden durchhielten, höchstens ein Zehntel des Bühnengeschehens verfolgten und während der restlichen langen Minuten die gesamte Kampnagelhallen-Ausstattung begutachteten, die eigenen Fingernägel oder wahlweise die Gattin taxierten, sich auf der Suche nach Leidensgenossen in den Reihen umschauten und –permanente Unruhe verbreitend – sich offenkundig langweilten. Das haben weder die Festivalmacher noch die Schauspieler verdient.
Bis 10.11. div. Spielorte und Zeiten, www.hamburgertheaterfestival.de