Text: Hans-Peter Kurr | Fotos: Sinje Hasheider
Zwei Premieren und eine knallige Party standen am Beginn der neuen Spielzeit des Jungen Schauspielhauses am temporären Spielort „Baustelle Gaußstraße“, der fürs erste auch die weiteren Inszenierungen beherbergen soll, bevor die endgültige Bühnenanlage – gegenüber dem jetzigen Provisorium gelegen – fertiggestellt sein wird. Mit einer kurzen Rede, die zwischen Heiterkeit und Ernst siedelte, begrüßte Hausherr Klaus Schumacher sein und seines Ensemble treues Publikum am neuen Ort.
Schumacher verantwortet auch die erste Inszenierung, „Fun“ der Autoren James Bosley, Tom Lycos und Stefo Nantsou, in der die ungemein problematische Frage nach der Motivation Jugendlicher für Gewaltverbrechen anhand zweier Beispiele eindrucksvoll (schau)spielerisch und inszenatorisch untersucht wird. Zur Debatte stehen dabei zwei historische Ereignisse: Die Ermordung eines Autofahrers 1994 in Australien durch von einer Brücke hinabgeschleuderte Steine – und dies „just for fun“, wie die Vernehmung der jungen Straftäter ergab; zum zweiten die Tötung einer alten Frau durch zwei Mädchen 1983 in den USA, die dieselbe Motivation verlauten ließen.
Schumacher hat diese zwei Kurz-Dramen mit vier jungen Schauspielern durch ständigen Rollenwechsel und überraschende Einfälle seiner überbordenden szenischen Fantasie auf der Bühne präsent gemacht: Neben Angelina Häntsch, die schon im Malersaal, ebenfalls unter Schumachers Regie, als Elektra brillierte, agieren Florence Adjidome, Jonathan Müller, Florens Schmidt sowie die hochgeschätzten „Dauermitglieder“ des Schumacher-Ensembles, Christine Ochsendorfer und Hermann Book, an diesem spannenden, pausenlosen Abend, der durch die beklemmende Thematik wie auch deren bühnengerechte Umsetzung tief erschüttert.
„Krieg“ lautet lapidar der Titel der zweiten Produktion (Untertitel: „Stell’ Dir vor, er wäre hier“), deren Premiere im provisorischen Mini-Foyer des neuen Spielortes einen Tag später stattfand. Hierbei handelt es sich um einen durch den Münchner Hanser-Verlag vertriebenen dänischen Essay von Janne Teller, deren Bühnenfassung für das Junge Schauspielhaus, laut Auskunft der Produktionsdramaturgin Rebecca Mühlich, auf den Proben in enger Zusammenarbeit mit der Regisseurin Anne Bader und den jungen Schauspielern Björn Boresch und Benjamin Nowitzky erarbeitet, ausgestaltet und szenisch realisiert wurde.
Das Ergebnis ist verblüffend: Analog zu den Exilanten dieser Welt nach oder während kriegerischer Ereignisse wird anhand der Situation jener Deutschen der Hitlerzeit beispielhaft abgehandelt, wie es ihnen gelang, in Ägypten Fuß zu fassen und nach langer Zeit im Internierungslager eine, zumeist befristete, Aufenthalts- und damit Arbeitserlaubnis zu erhalten – das ist historisch belegt! Und beklemmend in Form und Inhalt.
Zwar haben die zwei jungen Darsteller an diesem Abend nur mäßige Chance, sich in ihrem eigentlich Beruf als Schauspieler zu präsentieren, aber sie zeigen eine beeindruckende Bühnenpräsenz und Achtung gebietende Beherrschung der schwierigen Textur. Auch die Inszenierung erweist sich als sehr geschickt, indem sie die wenigen Zuschauer, die in dieser ehemaligen Garage an der Gaußstraße Platz finden, als Adressaten, sprich Leidtragende dieser politischen Wirrnisse und ihrer Folgen einbezieht.
In ihrem klugen Programmheft-Beitrag schreibt Rebecca Mühlich über die Repräsentanten einer (ihrer!) jungen Generation in Friedenszeiten, für die dieser Abend zu Recht gedacht ist: „Wir wissen nicht, wie es ist, um sein Leben fürchten zu müssen oder die Heimat zu verlieren. Aber wir können versuchen, es uns vorzustellen. Nur so können wir etwas über uns lernen!“ Wie wahr!