Text: Birgit Schmalmack | Foto: Birgit Hupfeld
Es begann mit dem innovativen, choreographierten Konzert „Human Requiem“ von Jochen Sandig auf der Baustelle der Elbphilharmonie und es endete mit der arrivierten „Möwe“ des verstorbenen Jürgen Gosch auf Kampnagel.
Bei ersterem wurde das Foyer der Noch-immer-Baustelle in luftiger Höhe zum Bauch der Gefühle. Auf dem grünen Rasen unter der Betonkuppel wurden die Zuschauer zum Teil des „Deutschen Requiems“ von Johannes Brahms. Mitten zwischen den Zuschauern bewegten sich die Sänger des Rundfunkchores Berlin hindurch. Nur von zwei Klavieren begleitet machten sie den Gesang polyphon erlebbar. Bescheiden und zurückhaltend choreographiert wurde Musik zum puren Gefühl, das jeder Zuschauer auf seine Weise erleben durfte.
Bei Jürgen Goschs „Möwe“ wurde nicht psychologisiert, sondern offenbart. Das Innerste wurde nach außen gekehrt. Alles geschah in einem öffentlichen Raum unter den Augen und Ohren der Landgemeinschaft. Hier gab es kein Entrinnen, denn sie beobachtete alles. Aufgereiht saßen alle vor der grauen Mauer und beobachteten das Verhalten, das Leiden und die Entblößungen der anderen. Gosch lässt die Schauspieler und ihre Figuren in eruptiven Ausbrüchen einen Seelenstriptease hinlegen. Hier wird keine hehre Kunst zelebriert, hier bricht sich das ungeschminkte Leben seine Bahn.
Das waren nur zwei der Eckpunkte, die schon die große Bandbreite des diesjährigen Hamburger Theaterfestivals markierten. Auch die Theateransätze waren bunt gemischt: Ob hochkonzentriert und reduziert wie bei Michael Thalheimers Frankfurter „Medea“, ob unterhaltungsorientiert und opulent wie bei „Was ihr wollt“ von Matthias Hartmann aus Wien oder sozialkritisch wie in David Böschs „Stallerhof“ – alles war dabei.
An der Hamburger Theaterakademie hatte er einst studiert, nun kam David Bösch mit seiner Inszenierung von der Wiener Burg wieder mal für ein Gastspiel nach Hamburg. In der Rolle der Beppi brachte er die grandiose Sarah Victoria Frick mit. Sie alleine schon machte die sensible, schnörkellose, hoch konzentrierte und ruhige Inszenierung zu einem Erlebnis. Das Grauen des Lebens in einer derartigen gedanklichen Enge wie dem „Stallerhof“ ist in jedem Moment spürbar. Beklemmung breitet sich in den Zuschauerreihen aus, aber auch Achtung vor dem Lebensmut dieser ganz besonderen jungen Frau. Auch ihr Gegenüber Johannes Krisch spielt den verbitterten, liebevollen und gleichzeitig missbrauchenden Sepp mit einem Charme jenseits der Kriterien äußerlicher Vorzüge und moralischer Kriterien.
Es gab neue Produktionen von 2012 ebenso wie ältere Inszenierungen von 2008. Man verließ sich fast durchgehend auf Bewährtes und gerne auch Prämiertes. Viele gute Bekannte waren sowohl unter den Stücken wie bei den Regisseuren zu sehen. Gerade für Hamburger, die alten Thalia- und Schauspielhaus-Zeiten hinterhertrauern, gab es Wiedersehensfreude: Arbeiten von Edgar Selge, Stephan Kimmig, Thalheimer, Bösch, Martin Kusej und Gosch waren mal wieder zu sehen.
Damit ist auch klar: Auf einen eigenen künstlerischen wie thematischen Schwerpunkt verzichtet dieses Festival. Es versteht sich als zusätzliches Serviceangebot an das Hamburger Publikum. Auch hatten die Planer durch die Streckung des Festivalzeitraumes auf sechs Wochen zwar den Festivalcharakter verringert, aber den Dienstleistungsaspekt erhöht. Auch wohl deswegen, weil dieses Festival auf eine Hamburger Spielzeit der Staatstheater traf, die noch recht arm an Höhepunkten ist, waren die Reihen der Theater durchgehend gut gefüllt.