Kritik / Schauspiel

Heilig Abend

St. Pauli Theater
Heilig Abend

Wettlauf gegen die Zeit: Der Polizist (Johann von Bülow) verhört die Verdächtige (Barbara Auer)

Text: Dagmar Ellen Fischer / Foto: Kerstin Schomburg

„Kaffee? Zigarette vielleicht?“ Nur die ersten Worte sind harmlos. Zwischen den beiden Menschen, die sich am Heiligen Abend in einem frieren machenden Büroraum begegnen, geht es bald zur Sache: Ein Polizist verhört eine Terrorverdächtige. Er versucht es zunächst auf die freundliche, dann auf die joviale, schließlich auf die brutale Tour. Hinter beiden rücken die Zeiger einer riesigen Uhr unaufhaltsam in Richtung Mitternacht – das ist der Zeitpunkt, an dem eine Bombe explodieren soll …

Zu diesem Schluss kam die ermittelnde Polizei durch eine Nachricht im Computer der verdächtigen Philosophieprofessorin; gegen sie spricht sowohl ihre politische Haltung als auch Dokumente samt einer Anleitung zum Bombenbau. Die kluge Frau leugnet alle Anschuldigungen und erklärt die Texte zum Gedankenspiel im Rahmen einer Seminararbeit für ihre Studenten. Natürlich glaubt ihr der Polizeibeamte kein Wort; zunehmend verliert er die Fassung, wird unter dem enormen zeitlichen Druck irgendwann übergriffig.

Am St. Pauli Theater inszenierte Hausherr Ulrich Waller nun das bekannte Stück „Heilig Abend“ von Erfolgsautor Daniel Kehlmann mit Starbesetzung: Barbara Auer und Johann von Bülow liefern sich über 75 Minuten hinweg ein spannendes Psycho-Duell. Wirkt die Verdächtige zu Beginn noch unsicher bei ihrem Versuch, die Situation realistisch einschätzen zu können, so gewinnt sie im Verlauf des Verhörs zunehmend an Souveränität und schließlich sogar die Oberhand. Ihr Gegenüber lässt sich zu Aktionen offensichtlicher Hilflosigkeit hinreißen – befürchtet er doch den kurz bevor stehenden, gewalttätigen Anschlag.

Der Konflikt ist nicht zu lösen: hier der Gesetzesvertreter und das gesellschaftliche Bedürfnis nach Sicherheit, dort das Fazit zu (nur) einem Problem dieser Welt: „Armut passiert nicht, wir schaffen sie, das nennt man Ausbeutung!“, sagt die Intellektuelle irgendwann. Die hat nicht zuletzt durch ihre selbstsichere, ruhige Ausstrahlung mehr Sympathien auf ihrer Seite.

Ungünstig wirken sich die vielen Blacks aus, die den Bogen und den großartigen Kehlmann-Text unterbrechen. Das gleiche Stück – in anderer Besetzung und Inszenierung – war im St. Pauli Theater vor einigen Monaten im Rahmen des Hamburger Theater Festivals zu erleben. Wer’s gesehen hat, dem bietet sich so eine tolle Möglichkeit zum Vergleich.

Aufführungen bis 14. Februar, St. Pauli Theater, 19:30 Uhr, Sonntags 18 Uhr, Karten unter Tel. 47 11 06 66, So bis Do 19,90 € bis 49,90 €, Fr/Sa 19,90 € bis 56,90 €

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