Kinder & Jugend / Kritik

Hirn der Finsternis

Traummaschine Inc.
Hrn der Finsternis

In die Röhre schauen einmal anders: Kapitän Walter navigiert seine Crew beim Multimedia-Walk durch den Wald

Text: Dagmar Ellen Fischer / Foto: Traummaschine Inc.

Mit der Aussicht auf einen Waldspaziergang lockt man Großstadtkinder nicht ins Freie. Ein Erkundungsgang ins „Hirn der Finsternis“ klingt da schon spannender – und der ist Waldspaziergang, Schnitzeljagd und Mini-Kino in einem. Die Theatergruppe „Traummaschine Inc.“ nennt ihre jüngste Produktion selbst Multimedia-Walk: In einem bewaldeten Grünstreifen entlang des Baches Mühlenau hat die Crew 15 Stationen versteckt, jeweils bestehend aus einem wetterfesten Plakat mit Lageplan und großformatigem QR-Code. Folglich braucht man für den Abenteuer-Ausflug neben robusten Schuhen ein internetfähiges, möglichst frisch aufgeladenes Smartphone oder Tablet samt QR-Code-Scanner.

Sobald man an Station 1 den ersten Code scant, erscheint Kapitän Walter und begrüßt die Besucher. Leicht verwirrt erzählt er ihnen vom rätselhaften Verschwinden seiner Schiffe … Und schon lockt die Aussicht auf eine Fortsetzung die Nicht-Spaziergänger tiefer in den Wald hinein. An jeder weiteren Station erfährt das neugierige Publikum ab acht Jahren in unterschiedlich (manchmal zu) langen Filmsequenzen mehr über den Seefahrer, seine Tochter Charlie und eine geheimnisvolle Frau Krakowski, die verblüffend einer mehrarmigen Meeresbewohnerin ähnelt. Mitunter springt die jeweilige Station gleich ins Auge, manchmal aber sieht man das nächste Plakat vor lauter Bäumen nicht. Hin und wieder gibt es Anregungen oder Aufgaben: Wie viele Ozeane gibt es eigentlich? Habt ihr auch schon mal etwas verloren und dann wiedergefunden?

Neben der spielerischen verläuft auch eine nachdenklich machende Ebene: Der Waldweg führt vorbei am Gelände der ehemaligen Chemischen Fabrik Stoltzenberg, die sogenannte Ultragifte herstellte; an dieser Stelle erinnert der Kurzfilm an ein Hamburger Kind, das 1979 beim Spielen auf das Fabrikgelände geriet und bei einer Explosion starb.

Gegen Ende des Parcours lässt man den Wald hinter sich, um ein Trockentraining für fortgeschrittene Segler zu absolvieren. Der Rückweg führt per Slalom schließlich in einen „Wald-Hafen“.

Selbst Hamburg-Kenner dürften in dem Biotop zwischen Volksparkstadion, Multifunktions-Arena und mehrspuriger Durchgangsstraße noch „weiße Flecken“ ihrer Stadt entdecken. Von solchen berichtet auch Kapitän Walter hin und wieder, wenn er unsicher zwischen Erinnern und Vergessen rudert: Sehr behutsam ist das Thema Demenz eingebettet, an dem auch Kinder andocken können, sobald sich der bärtige Seemann sein allererstes, kleines Spielzeugschiff zurückwünscht!

Eine Geschichte wird auf diese Weise nicht erzählt, es sind im wahrsten Sinn „bits and pieces“, Erinnerungsfetzen in einzelnen Szenen, die sich zu einer Atmosphäre verdichten. In den Video-Anteilen mischen sich animierte Illustrationen mit gespielten Sequenzen manchmal eher holzschnittartig.

Und noch eine Ebene schwingt leise mit: Der Titel erinnert an „Herz der Finsternis“, jenen Roman von Joseph Conrad aus dem Jahr 1899, in dem ein Seefahrer namens Charlie von einer abenteuerlichen Reise erzählt.

Weitere kostenlose Erkundungsgänge bis 31.5.2021, Eingang Sylvesterallee (schräg gegenüber von Uwe Seelers Fuß), vom 25.8. bis 4.9.2021 und wahrscheinlich während des Hamburger Kultursommers. Aktuelles unter www.traummaschineinc.net

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