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Illuminierte Illusionen

Mummenschanz im Thalia Theater
Mummenschanz

Ein Ausrufezeichen steht Kopf? Oder ein gelber Entlüftungsschlauch mit dickem Ende? Nichts von alledem ...

Ein Wesen mit sechs Extremitäten entert die Bühne – wo sind Arme, wo Beine? Es bewegt sich wie eine Kreuzung zwischen Spinne und Mensch, zwischendurch fixiert es das Publikum bedrohlich. Kaum ist es nach seinem kurzen Auftritt wieder im Dunkel des Bühnenraums untergetaucht, da wälzt sich ein anderes Tier in den Vordergrund, das hat Ähnlichkeiten mit einem Seeelefanten – oder doch eher mit einem riesigen Seesack …?

Weltweit einmalig ist das Maskentheater von Mummenschanz: Mit Gesichts-, Teil- und Ganzkörpermasken sowie mit fantastischen Figuren und Objekten zeigt die Truppe mit Sitz in der Schweiz ihre Bühnenkunst seit nunmehr 40 Jahren auf allen Kontinenten. Anlässlich des Jubiläums geht sie mit einem Best-of-Programm auf Tour, mit fünf Vorstellungen an vier Tagen waren sie auch in Hamburg zu Gast.

Völlig fantastischen, aber eben auch ganz alltäglichen Dingen hauchen die vier Spieler von Mummenschanz Leben ein: Eine raumhohe gelbe Röhre tapst umher, auf ihrem oberen Ende ruht ein roter Luftballon. Doch sobald sich beide bewegen, wird das schlauchförmige Gebilde zum Kind, das mit dem Publikum Ball spielen will – es wirft die große leichte Kugel in den Zuschauerraum und fängt sie mühelos wieder auf. Spätestens nach dieser Nummer ist das Eis gebrochen, und die Fantasie auf und vor der Bühne hat einen gemeinsamen Spielraum.

Das gelingt auf perfekte Weise auch im Dialog zwischen den beiden Klopapiergestalten: Zwei Spieler, von oben bis unten in Schwarz gehüllt, tragen anstatt Augen, Ohren, Nase und Mund blaue bzw. rosafarbene Toilettenpapierrollen im Gesicht; deren Rollbewegungen stehen für Weinen, Reden, Hören oder Riechen – und so entspinnt sich eine unglückliche Liebesgeschichte zwischen den beiden meterweise abrollenden Wesen unterschiedlichen Geschlechts, an der das Publikum hörbar lebhaften Anteil nimmt. Ähnlich verblüffende Begegnungen gelingen auch mit Masken aus Knete und abstrakten Strichmännchen, die von den Spielern wie riesige Marionetten bewegt werden.

In der Tradition der Commedia dell’Arte und mit einem Lichtdesign des 21. Jahrhunderts, aber gänzlich ohne Musik(!), begeisterte das Figurentheater Mummenschanz im Hamburger Thalia Theater: durch seine differenzierte Körperbeherrschung, die Mittel des Schwarzen Theaters, abenteuerliche Masken und verrückte Ideen – nichts ist (nur so), wie es auf den ersten Blick scheint.

Text: Dagmar Ellen Fischer
Foto: Lea Fischer

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