Der Nebel ist allgegenwärtig in der neuesten Inszenierung von Michael Bogdanov in den Hamburger Kammerspielen. Er wabert schon vor dem ersten Auftritt über das kleine Stückchen Land mit Bäumen, Böschung und hügeligem grünen Waldboden, das ganz naturalistisch auf die Bühne gebaut wurde. Die „Vier Männer im Nebel“, die dem Stück von Tim Firth den Titel gaben, krabbeln dann einer nach dem anderen pitschepatschenass über die kleine Anhöhe. Bei einer „Team-Building-Exercise“ ihrer Firma ist das Quartett – allesamt Abteilungsleiter – auf einer kleinen unbewohnten Insel gestrandet, von der sie, wie sich bald herausstellt, nicht so schnell wieder herunterkommen. Zwar ruft Angus mit seinem superneuen iPhone 96S seine Frau an. Doch er kann ihr nur eine Nachricht auf den Anrufbeantworter sprechen. Die vier Kollegen müssen sich wohl oder übel auf einen längeren Aufenthalt auf dem kleinen Eiland einrichten – mit Übernachtung und ohne Verpflegung.
Der Aufenthalt gestaltet sich zunächst urkomisch, denn die vier Bürohengste sind keine geübten Überlebenskünstler. Komik entsteht aber vor allem durch die Nähe, die die Vier, die sich bislang nur als Kollegen kannten, nun zwangsläufig untereinander zulassen müssen. Neville, der freundliche, auf Harmonie bedachte „Käpt´n“, hat alle Hände voll zu tun, um seine so ganz unterschiedlichen „Matrosen“ auf Kurs zu bringen und insbesondere zwischen den beiden Streithähnen Gordon und Angus zu schlichten. Gordon kommentiert den peinlichen Schiffbruch und die selbst verschuldete Notlage mit bitterstem Sarkasmus und reizt den peniblen Angus, der seinen Rucksack mit allem Erdenklichen gefüllt hat, was er für diesen Tag benötigen könnte: von Kleidungsstücken und Küchengeräten in verschiedenen Größen über Allwetterkompass, Bergsteigerseil, Schritt- und Höhenmesser bis zum Smoking für die abschließende Abendveranstaltung. Für Gordon aber, der als einziger seinen Rucksack verloren hat, rückt Angus nach dem Motto „Alles meins“ nur sehr zögerlich trockene Kleidung heraus.
Da tun sich erste Abgründe auf, die im letzten Drittel der bis dahin munter dahin plätschernden Komödie zu einem düsteren Schlund aufreißen, in dem das geschönte Selbstbildnis der vier Havaristen Stück für Stück verschwindet. Angus, dessen Frau sich einfach nicht meldet, muss kübelweise Spott von Gordon ertragen und outet sich daraufhin als verklemmter an seinem Mittelmaß in allen Dingen leidender Ehemann. Roy, überzeugter Christ seit einem Zusammenbruch mit anschließender Therapie, gerät in Gefahr, Selbstmord zu begehen, als ihm Gordon schonungslos seinen Glauben als Mumpitz zerfetzt. Daraufhin bezieht Neville erstmalig Stellung, kanzelt Gordon als einsamen Habenichts ab, der nur mit Hilfe seines Sarkasmus überleben kann. Und Angus´ aufgestaute Wut auf die ewigen Sticheleien von Gordon endet fast mit einem Mord. Mehr als mit der Wildnis der Insel hat das Quartett mit der Wildnis des eigenen Egos zu kämpfen. Ausgerechnet Roy, der vermeintlich Schwächste, sorgt schließlich ganz praktisch für Hilfe. Ob den vier Kollegen aber wirklich geholfen werden kann, bleibt fraglich. Der Nebel bleibt, wohl auch der vernebelte Blick auf die eigene Person.
Den vier guten bis sehr guten Schauspielern gelingt es mühelos, den nahtlosen Übergang von der Komödie zum Psychodrama nach bester britischer Tradition zu bewältigen. Roland Renner als am Mittelmaß leidender Pedant Angus, Stephan Benson in der Rolle des einsamen Lästerers Gordon, Karsten Kramer (eine Woche vor der Premiere eingesprungen!) als harmonisierender Neville und Peter Theiss, der liebe Pseudo-Christ Roy, bilden ein starkes Ensemble. Das Premierenpublikum bewies es eindrucksvoll. Nach ausgelassener Heiterkeit über weite Strecken des Abends wurde es am Ende mucksmäuschenstill, so dass man die berühmte Stecknadel hätte fallen hören.
Text: Christian Hanke
Foto: Bo Lahola