Text: Dagmar Ellen Fischer / Foto: G2 Baraniak/Gimpel
Kurz nach Weihnachten fliegen sie erneut ein: Ein Paar surreale Engel. Gemeinsam mit Intendant und Regisseur Axel Schneider haben sie sich „Die Entdeckung des Himmels“ vorgenommen, nach dem gleichnamigen Roman von Harry Mulisch.
Godot: Der US-amerikanische, jüdische Autor Mulisch fantasiert in seinem 1992 erschienenen Buch, Gott habe den Bund mit den Menschen aufgekündigt und fordert die Gesetzestafeln mit den Zehn Geboten zurück, die er seinerzeit Moses gab. Warum inszenieren Sie dieses Thema jetzt?
Axel Schneider: Der Rowohlt Verlag fragte an, ob ich den Stoff für die Bühne adaptieren wolle. Zu Beginn des Anrufs hatte ich beschlossen: Egal, welches Buch man mir vorschlägt, meine Antwort wird „Nein“ lauten. Doch als ich erfuhr, dass es sich um „Die Entdeckung des Himmels“ handelt, hörte ich mich plötzlich „Ja“ sagen. Ich hatte das Buch vor zehn Jahren privat gelesen, eigentlich verschlungen – ich halte es für einen Jahrhundertroman.
800 Seiten wollen in einen verständlichen Theaterabend verwandelt werden, wie sind Sie vorgegangen?
Das Werk ist so komplex – man macht sozusagen eine Tür auf, geht in einen Gang und muss sich gleich schon wieder für eine von mehreren Türen entscheiden … Ich habe schon viele Adaptionen gemacht, aber diese war die bislang schwierigste. Letztlich musste ich Neben-Handlungsstränge heraus nehmen sowie auch etwas von der Intellektualität weglassen, dennoch möglichst viele von den klugen philosophischen Gedanken bewahren.
Mulisch entwirft eine recht düstere Fantasie …
Es passt zu dem, was uns die nächste Generation vorrechnet, die sich bei „Fridays for Future“ stark macht: In Bezug auf unser Klima ist der „point of no return“ schon überschritten. Mulisch ahnte schon in den 1990er Jahren, dass wir nichts gelernt haben aus dem 20. Jahrhundert, aus den Kriegen und dem sogenannten Fortschritt, den wir für unersetzbar halten. Auf diese Weise steuern wir in eine zunehmende Abhängigkeit von der vermeintlichen Verbesserung durch technische Hilfsmittel. Dennoch verstehe ich sein Werk als Warnung und nicht als Depression. Zumal der Schluss auch Hoffnung birgt …
Ihre Inszenierung hat also eine moralische Botschaft?
Ja. Einer der beiden Hauptfiguren ist Astronom, aber je mehr er den Himmel wissenschaftlich erforscht, desto mehr verliert er den Glauben an Gott. Für uns heißt das: Wenn wir denken, das Weltall zu begreifen, verlieren wir die Demut vor dem, was wir alles nicht wissen.
Kommt hier das Hamburger Planetarium als Kooperationspartner ins Spiel?
Aufführungen wird es im Planetarium nicht geben, aber mit szenischen Lesungen werden wir dort zu Gast sein. Thomas Kraupe, der Direktor, stellt uns Himmelsbilder zu Verfügung, die auf Schiebeelemente projiziert werden. Ferner werden Beispiele aus der Bildenden Kunst als Projektionen gezeigt, so zum Beispiel Ernst Barlachs „Moses mit den Gesetzestafeln“ und „Das Jüngste Gericht“ von Hieronymus Bosch. Diese Abbildungen bringen die mystische Ebene der Geschichte auf die Bühne.
Für diese Ebene sind die Engel vermutlich zuständig, welche Funktion haben sie?
Sie kommen aus dem Himmel auf die Erde mit dem Auftrag, den Dekalog zurück zu holen, d. h. sie müssen die Menschen dahingehend beeinflussen, die Tafeln mit den Zehn Geboten zu finden. Harry Mulischs Frauenfiguren haben Vorbilder aus den 1980er Jahren und werden reduziert auf Sexsymbol und Gebärmaschine, was ich todlangweilig finde. 2020 aber werden die Frauen im wahrsten Sinn des Wortes gebraucht, um die Geschichte voran zu treiben, sie sind also die Regisseurinnen des Ganzen. Deswegen spielen die Engel auch die Figuren, auf die die beiden Männer treffen.
Auch die Christianskirche ist Kooperationspartner, inwiefern?
Eine Kooperation existiert schon seit Jahren: Nach jeder Premiere werden sogenannte Tischgespräche angeboten, in diesem Rahmen wird eine Brücke geschlagen von christlichen zu weltlichen Themen. Pastor Frank Howaldt ist dem Theater sehr verbunden und ergänzt mit seinem Wissen das Dramaturgie-Team.
Die Kernaussage der Geschichte lässt sich jedoch nur schwer mit Kirchenmaximen in Einklang bringen: Gott gibt die Menschen auf und überlässt dem Teufel das Feld …?
Ich sehe das eher als Arbeitshypothese denn als Kernaussage: Bei meiner Deutung stehen am Ende ein Engel und ein Mensch dafür ein, dass es eine Zukunft geben soll. Das ist der berühmte kleine Strohhalm, dem ich dem Ganzen noch geben möchte. Jeder von uns kann dazu beitragen, dass – um im Bild zu bleiben – Gott auf der Erde bleibt.
„Die Entdeckung des Himmels“ (Premiere): 19.1.2020, 19 Uhr, Altonaer Theater