Text: Christian Hanke / Foto: Oliver Fantitsch
Bomben über Paris. Im ungeschützten Keller eines Hotels sitzen einige Gäste zwischen Bangen und Hoffen. Wir schreiben das Jahr 1940. Die Deutschen, die „Boches“, stehen vor der Stadt. Wie ein Kriegsdrama beginnt Franz Werfels bekanntestes Theaterstück „Jacobowsky und der Oberst“. Doch die Tragödie der französischen Niederlage und der daraufhin einsetzenden Fluchtbewegungen aus Paris verarbeitete Werfel, der selbst 1940 durch Frankreich über Spanien nach Lissabon flüchtete, um von dort in die USA zu gelangen, zu einer „Komödie einer Tragödie“. Denn er schildert die Flucht von vier gegensätzlichen Menschen, die ein Team bilden müssen, um den Deutschen zu entkommen. Der in Polen geborene und in Deutschland aufgewachsene jüdische Pfiffikus Jacobowsky, zum fünften Mal auf der Flucht, hat ein Auto gekauft, das er nicht fahren kann, und das nun vom polnischen Oberst Stjerbinsky in Begleitung seines Adjutanten Szabuniewicz gesteuert wird… Stjerbinsky, dessen Einheit an der Somme aufgerieben wurde, ist in geheimer Mission unterwegs. Dem gefällt der geschickte, schelmische Jude überhaupt nicht, denn erstens ist er erklärter Antisemit und zweitens mimt er bitterernst den aufrechten Mann der Ehre, soldatisch von Kopf bis Fuß. Doch nur Jacobowskys Tricks und Schlichen hat er es am Ende zu verdanken, dass er schließlich ein Schiff nach England besteigen kann.
Auf der turbulenten Fahrt durch Frankreich, in dessen Verlauf der Oberst einen Abstecher zu seiner Geliebten Marianne machen muss, die dann auch gleich mitgenommen wird, entwickelt sich eine von pointenreichem Wortwitz getragene Komödie.
Getragen vor allem von den großartigen Hauptdarstellern, allen voran den Vollblutkomikern Marcus Ganser (Jacobowsky) und Walter Plathe, der sowohl Szabuniewicz als auch einen Erzähler spielt und der die vielen kleinen Szenen im gemütlichen Plauderton miteinander zu verbinden weiß. Ein belebender Einfall von Regisseur Jürgen Wölffer, ebenso wie die offenen Umbauten. Mit markanten Details: Da wird hier ein Balkon aus der Kulissenwand geschoben, dort ein Hotelschild platziert. So kommt die Episodenhandlung trotz vieler Szenenwechsel ins Fließen. Plathe lässt in der Erzählerrolle und vor allem im Szabuniewicz den Charme seiner großen Kleine-Leute- und Schelmenrollen aufblitzen. Michael von Au gibt den theatralischen Oberst, der sich zum aufrechten Menschenfreund wandelt. Ann-Cathrin Sudhoff entwickelt sich in der Rolle der Marianne ebenso souverän vom verwöhnten Püppchen zur engagierten Patriotin. Schließlich wissen Herma Koehn, Nina Juraga, Jürgen Thormann und Marek Gierszal in vielen kleinen Rollen zu überzeugen; letzterer unter anderem mit dem schier endlosen Bürokraten-Wortschwall eines Polizisten. Weltliteratur, überzeugend in neuer Fassung.
Aufführungen bis 26.2., Komödie Winterhuder Fährhaus