Text: Christian Hanke | Foto: Oliver Fantitsch
Hübsch nebeneinander aufgereiht stehen die Aktenordner auf dem Schreibtisch von Björn. Er kann die dort abgehefteten 104 Fälle derzeit nicht bearbeiten, denn Björn liegt im Krankenhaus. Seine drei Kolleginnen im Sozialamt müssen nun noch mehr leisten, obwohl sie bereits ihre Belastungsgrenzen erreicht haben: die abgeklärte Barbara, die älteste, die sich mit der Hoffnung auf Fernreisen tröstet; Silvia, die den Job nur noch mit Alkohol aushält; und die junge übereifrige Anika, die ihr eigenes Kind vernachlässigt, um anderen Kindern zu helfen.
Sie sind die Protagonistinnen in Felicia Zellers Stück „Kaspar Häuser Meer“, das im Theater Kontraste zu sehen ist. Ein Stück, das nicht die Opfer und nicht die Täter von Kindesmisshandlungen und -verwahrlosungen zu Wort kommen lässt, sondern drei Helferinnen, die diese Taten durch intensive Begleitung und Beobachtung verhindern sollen – drei von denen, die nach dem Tod vernachlässigter Kinder erschüttert, verzweifelt oder regungslos in Untersuchungsausschüssen zu Protokoll geben, dass sie das alles nicht haben kommen sehen.
Barbara, Silvia und Anika sind entschlossen, alles zu geben, um Björns „Kaspar Hauser Fälle“, hinter denen sich ungelöste Familien- und Kinderschicksale verbergen, zu bearbeiten, ein endloses „Kaspar HäuserMeer“ der sozialen Not.
Doch die Stimmung ist angesichts der kaum zu bewältigenden Arbeit gereizt. Alte Ressentiments brechen wieder auf, Vorwürfe werden laut. Felicia Zeller hat die Ohnmacht der drei Sozialarbeiterinnen in ihrem exzellenten Text durch unvollständige Sätze und ständige Wiederholungen zum Ausdruck gebracht. Das Trio bringt einfach nichts zu Ende, versucht es aber immer und immer wieder. Und ärgert sich maßlos über die einen Eltern und die anderen Nachbarn von betreuten Familien, die das Nervenkostüm der drei durch Penetranz und Nichtstun zusätzlich strapazieren. Barbara packt ihr Telefon schließlich in einen Pappkarton und nimmt nicht mehr ab. Im gelungenen Bühnenbild von Lars Peter mit vier einfachen Tischen vor einer ganzen Wand von Pappkartons, hinter der nach und nach ein Meer von Stofftieren sichtbar wird, lässt Regisseur Harald Weiler die drei Sozialarbeiterinnen verzweifeln, aber immer wieder neu beginnen, zeigt sie nicht als gefühllose, weltfremde Beamtinnen, sondern als engagierte, mit Idealismus gesegnete Frauen, die selbst vor einer Sisyphos-Arbeit nicht kapitulieren wollen. Katharina Abt, Barbara Krabbe und Verena Mörtel setzen das typengerecht hervorragend um.
Vorstellungen bis 22.11. sowie im Februar/März 2015, Theater Kontraste