Highlight / Kritik / Schauspiel

Körber Studio Junge Regie

Thalia Gaußstraße
Der souveräne Mensch

Das Siegerstück aus Gießen: „Der souveräne Mensch“

Text: Birgit Schmalmack / Foto: Krafft Angerer

Die jungen Wilden? Beim diesjährigen Körber Studio Junge Regie kamen die jungen Regiestudenten sehr zahm daher. Fast alle verfolgten bei ihren Inszenierungen stringent aufgebaute und inhaltlich kohärente Konzeptionen. Diese jungen Regietalente präsentieren weniger diffuse, vielgestaltige Zustandsbeschreibungen eines erlebten Chaos als vielmehr Möglichkeiten der fokussierten Einordnung und Erklärung. In einer immer unübersichtlich werdenden, sich weiter ausdifferenzierenden, globalisierten Welt erscheint das nachvollziehbar. Dass gleichzeitig viele von ihnen eine pragmatische Reife zeigen, die gelernt hat, mit den zur Verfügung stehenden Mitteln zu arbeiten, überrascht aber dennoch. Konsequenterweise hat die Jury die Gießener Inszenierung „Der souveräne Mensch“ vom Institut für Angewandte Theaterwissenschaften zum Preisträger 2013 erklärt, die selbst die theatralen Mittel auf ein Minimum zu reduzieren verstand und dennoch nicht die Sinnlichkeit zu kurz kommen ließ.

In dieser Performance „Der souveräne Mensch. Warum Juwelen glänzen und Kieselsteine grau sind“ gab es nicht den Hauch eines Zweifels, dass nicht jede Geste perfekt bis in die letzte Fingerspitze einstudiert war. Denn es ging um die Ausstrahlung der Souveränität des Souveräns. Vor dem großen blauen Vorhang wird das In-Szene-Setzen der Seriosität vorgeführt. Sparsame Gesten, gesetzte Reden, dezente Körpersprache. Dann geht der Vorhang auf und eine Eiswüste mit nackten kahlen Bäumchen straft die Reden von den blühenden Landschaften Lügen. Mit übergroßem Scheinwerfer vor riesenhaftem Rednerpult wird der Souverän zum Zwerg und seine Fuchs-Adlaten übernehmen sein Gestenballett im Duett. Arnita Jaunsubrena, Lea Schneidermann und Kim Willems beeindruckten mit großer Ernsthaftigkeit, hoher Textkonzentration und ihrem Mut, Worthülsen und Inszenierungstricks zum Thema auf einem Regiefestival zu machen.

Der schöne Hippolytos ruht in den roten Kissen seines Bettes. Unter ihm auf der schwarzen Erde quälen sich vier Gestalten wie Untote mühsam strauchelnd in die Senkrechte empor. Maskenhaft sind ihre Gesichter geschminkt, ihre laszive Kleidung bedeckt weniger als sie freilässt. Als Chor malen sie eine düstere Welt aus, die ohne Liebe auskommen muss. Genau von so einer Welt erzählt Sarah Kanes Stück „Phaidras Liebe“. In Hippolytos Leben spielt die Sexualität zwar die Hauptrolle, aber seine Begegnungen mit anderen dienen ausschließlich der kurzfristigen Bedürfnisbefriedigung und Unterbrechung seines Lebensüberdrusses. Regisseurin Simina German von der Folkwang Hochschule Essen bezieht in ihrer konsequent gezeichneten Inszenierung klare Position. Sie zeigt eine Gesellschaft, die aus den Fugen geraten ist. Hippolytos ist hier nicht der Sünder, sondern der einzig Aufrechte, der bewusst zu seiner Haltung steht. Ein Höhepunkt des Festivals!

Auch der Beitrag aus Hamburg konnte sich sehen lassen. Ganz oben auf ihrem einstigen Gefängnis steht Rodogune zum Schluss. Stolz reckt sie ihren Kopf mit der Krone unter dem Goldregen empor. Weit hat sie sich hochgearbeitet. Zu Beginn war sie noch die Gefangene in demselben Käfig, und die anderen fuhren mit ihr Schlitten. Wie sich Realität und Fantasie verschränken und sich gegenseitig in ihrem Zerrspiegel beeinflussen können, wie ein junges Mädchen unter widrigsten Umständen zur mächtigen Frau wird, wie ein Opfer zur Täterin wird – das zeigt die Diplomandin Sarah Klöfer in ihrer beeindruckenden Abschlussinszenierung „Rodogune. Verkehrte Welt“.

Von der ersten Szene an nimmt ihre Arbeit gefangen. Die Dienerin Laonike erzählt von den Schrecknissen des Krieges, den Intrigen und den Morden. Hinter ihr zeugen die Schattenbilder von den furchtbaren Geschehnissen. In die holzschnittartigen Verfremdungen platzt das pralle, zupackende Leben in Gestalt der Königin, ihrer beider Zwillingssöhne und ihrer Gefangenen Rodogune herein. Klöfer verknüpft geschickt die Stücke „Alice im Wunderland“ von Lewis Carroll und „Rodogune“ von Pierre Corneille. In einem Mash-Up zeigt sie die Entwicklung einer jungen Frau, die beschließt, sich nicht mehr unterkriegen zu lassen und dabei den Preis der Korrumpierung durch die Macht bezahlen muss.

Eugene O`Neill dampfte die griechische Tragödie um Elektra in „Trauer muss Elektra tragen“ schon zu einem amerikanischen Familienmelodram ein. Regisseur Frederik Tidén nimmt sich nun die Freiheit, die Modernisierungsschraube noch ein wenig weiter zu drehen. Er benutzt heutige Fernsehformate wie Sitcom und Soap, um die Story mit weiteren kritischen Untertönen zu versehen. Er scheut sich auch nicht, sie um das Themen 11. September, Nationalismus und Kriegstraumata zu erweitern. Dosengelächter markiert im ersten Teil jene Stellen, die zum Lachen freigegeben sind. Auf der hölzernen Showtreppe können bei Familie Mannon die Errungenschaften der schönen neuen Welt nicht gefeiert werden. Hier werden nur die Abgründe der Familienshow offenbar. Noch auf dem Totenbett träumt der Vater von den wahren Werten Amerikas. Doch statt zu heulen, bricht die Mutter Christine ganz, wie sie es im Fernsehen gelernt hat, in stummes Gelächter aus. Die Inszenierung der Zürcher Hochschule der Künste war ein weiterer Höhepunkt des Festivals.

Sollte es heftige Diskussionen unter den Regiestudenten gegeben haben – während der jeweils sich anschließenden Publikumsgespräche fanden sie dieses Mal nicht statt. Auch hier zeigte man kontrollierte Zurückhaltung. Vielleicht liefern zwei weitere Arbeiten die Antworten. Wie viel schwieriger der Arbeitmarkt im Theaterbereich Jahr für Jahr wird, zeigte das Doku-Stück „Das Projekt bin ich“ von Ulrike Müller eindrücklich. Die Doku-Performance „Blickakte“ von Daniel Schauf machte dagegen deutlich, wie langwierig, labil und wichtig das Entstehen von Netzwerken für die künstlerische Arbeit ist. Und nicht zuletzt für deren Knüpfen dient schließlich ein Festival wie das Körber Studio Junge Regie.

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