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Krankheit entpuppt sich als Farce

„Der eingebildete Kranke oder Molière in Behandlung“, Ambrella Figurentheater im Sprechwerk
Der eingebildete Kranke oder Molière in Behandlung

Heike Klockmeier hat die personifizierte Krankheit gut im Griff.

Ist ein Theaterstück, das damit beginnt, dass einem König ein monströser Einlauf verpasst wird, noch steigerungsfähig? Wenn Puppenspielerin Heike Klockmeier ihre Finger mit im Spiel hat, allemal. Es ist „Der eigebildete Kranke“ von Molière, den das Ambrella Figurentheater im Sprechwerk einer ganz besonderen Behandlung unterzieht. Nicht nur wird die ohnehin schon kurzweilige Komödie kräftig gestrafft, sie wird zudem noch um einige Handlungsstränge erweitert. Schließlich erhielt Molière den Auftrag zum Schreiben einer Komödie von keinem Geringeren als Frankreichs Sonnenkönig Ludwig XIV. Dessen Hypochondrie übertrug der Dichter auf seinen Protagonisten, in dessen Rolle er dann auch bei der Uraufführung 1673 schlüpfte. Diese Verquickung nutzt Klockmeier geschickt, um gemeinsam mit dem Stück auch die historischen Rahmenbedingungen für dessen Entstehung zu erzählen.

Bühnenaufbau: ein Königsthron in Lebensgröße, der durch die mit einem Vorhang versehene Rückenlehne hindurch als Puppenbühne bespielbar ist. Dort sitzt Argan in seinem Rollstuhl und feiert seine Krankheit, die – der Titel des Stücks verrät es bereits – eine eigebildete ist. Die große Klappmaulpuppe mit wildwüchsiger Nase, löchrigem Gebiss und einem feinen Teint von Moosgrün im Gesicht ist an sich schon der Brüller (Puppen: Jürgen Maaßen). Klockmeiers Belebungskünste – sie spielt sämtliche Puppen in diesem Stück! – setzen aber noch eins drauf: Mit sächselndem Zungenschlag, mitleiderregenden Hustenanfällen und ersticktem Röcheln kitzelt sie das letzten Quäntchen Komik aus einer Figur, die sich von einer unfähigen Ärzteschaft zum Kranksein überreden ließ. Argans Tochter Angélique, die – der Vater will es so – den Sohn seines Arztes heiraten soll, aber in Cléante verliebt ist, tritt, wie die zuletzt genannten und das gewiefte Dienstmädchen Toinette, als Marionette auf. Hoch oben thronen die Schutzengel Kasperl und Gretel sowie Gevatter Tod als klassische Fingerpuppen auf einer Wolke und greifen, wo’s nötig ist, ins Geschehen ein. Klockmeier selbst schlüpft in die Rolle des königlichen Leibarztes und empfiehlt dem Publikum mit einschmeichelndem französischem Akzent die eine oder andere brachiale Behandlungsmethode, die man lieber nicht über sich ergehen lassen möchte. Für Kinder ist dieses Puppentheater unter der Regie von Dietmar Staskowiak also nur bedingt geeignet.

Die rund hundert Premierenbesucher jedoch sind hellauf begeistert. Klockmeiers pointenreiche Bearbeitung des beliebten Stoffs als Stück im Stück, ihre stimmlichen Wandlungsfähigkeit und ihr temporeicher, nahtloser Figurenwechsel überzeugen auf ganzer Linie. „Und?“, fragt Dienstmädchen Toinette am Ende ins Publikum: „Noch jemand ein Klistier?“ Besten Dank. Aber bei diesem köstlichen Spaß ist eine Verdauungshilfe absolut überflüssig.

Text: Sören Ingwersen
Foto: Ambrella Figurentheater

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