Highlight / Kritik / Schauspiel

Lessings Abschiedsbrief an Hamburg

Theater in der Washington Allee
Lessings Abschiedsbrief

Wandlungsfähige Solo-Darstellerin: Angelika Landwehr

Text: Hans-Peter Kurr / Foto: Anders Balari

Da kämpft ein kluger, gebildeter und begabter Mensch um sein Leben und das seines Theaters und entdeckt als Helfer Gotthold Ephraim Lessing: Die Rede ist von Angelika Landwehr und dem 1999 von ihr ins Leben gerufenen Theater an der Washington Allee, auf dessen Programm „Lessings Abschiedsbrief an Hamburg“ bis zum 14. Dezember steht – und mehrere Hundertschaften von interessierten Zuschauern verdient hätte.

Die Landwehr hat, gemeinsam mit ihrem Dramaturgen Thorsten Heinz, aus Texten von Lessing, Voltaire, Walter Jens und einigen anderen gewichtigen Autoren einen 100-minütigen Abend gebastelt, der seinesgleichen gesucht, mit sich selbst als wandlungsfähiger Solo-Darstellerin im fantasievollen Set von Pantelis Dimitriou. Schonungslos montiert die Regisseurin und Schauspielerin in fünf Szenen, eingebunden in einen Prolog und einen Epilog, ein Lebensbild des großen Wanderers zwischen den Welten, Lessing, vom 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart.

Künstlerischer Höhepunkt bildet zweifelsfrei Landwehrs Darstellung der Gräfin Orsina aus „Emilia Galotti“: Die Rächerin, die beleidigte Frau aus dem Geschlecht der Phädra, Donna Anna oder Eboli, hat sie – nach Absolvierung einer pathetischen All-Round-Koloratur – den Rachedolch zu überreichen, ja sie ist geradezu die bravouröse Fee des bösen Dolches. Eine der genialsten Rollen-Erfindungen des großen Lessing, der an Hamburgs Pfeffersäcken ebenso schmählich scheiterte wie an seinem temporären Intendanten Friedrich-Ludwig Schröder, den er in seiner Hamburgischen Dramaturgie nur ein einziges Mal namentlich erwähnt, bevor er als Bibliothekar in die schreckliche Provinz von Wolfenbüttel ausweichen muss. Dort besichtigt das Publikum das Sterbehaus seines Sohnes Traugott, seiner Frau Eva und ihm selbst mit ehrfürchtigem Schaudern, und wir vergegenwärtigen uns Lessings reife Erkenntnis, dass Macht und Verderben Nachbarn sind, die Verführung in der Macht selbst sitzt, worin die Quintessenz dieses bösen Stückes liegt, nämlich dass die Welt aus einem Zusammentreffen aus Blindheit und Schwanken resultieren müsse.

Genau das zeigt auf hochintelligente Weise Angelika Landwehr in ihrem kleinen Theater, dem interessierte Menschen zu wünschen wären, die den nachgerade labyrinthischen Abgründen der Gesellschaft unserer Tage entgegenwirken, wohl wissend, dass durch Lessings kluge Bewusstwerdung die deutsche dramatische Literatur Welthaltung gewann, die bis heute Gültigkeit besitzt. Nicht zuletzt als ein Revolutionsfanal, das uns hier eine durch die Situation ihres Theaters tief getroffene Angelika Landwehr aus dem Element sittlicher Selbstbefragung sehr deutlich zu Gehör bringt. Hochachtung vor diesem Einsatz!

Hinterlassen Sie einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*