Highlight / Kritik / Schauspiel

Menschen, Prinzen, Bürgerliche

"Emilia Galotti", Thalia Theater
Emilia Galotti

Im Thalia Gaußstraße kann Emilia Galotti am Ende einfach gehen. Aber wohin?

Unblutig endet Lessings „Emilia Galotti“ im Thalia Theater. Der Hamburger Regisseur Marco Štormann inszenierte das 1772 uraufgeführte Drama für die diesjährigen Lessingtage am Thalia Theater als unterhaltsames (Kammer-)Spiel und schickt seine Protagonistin am Ende zur Tür hinaus anstatt ins Jenseits.

„Verführung ist die wahre Gewalt“, lässt Lessing seine Titelfigur erkennen. Um sich dieser zu entziehen, stirbt Emilia Galotti im Original – lieber tot als untugendhaft. Unmündig und unfähig, sich einer Realität zu stellen, erscheint Emilia damals wie heute, und der Konflikt zwischen mühsam aufrecht zu erhaltener Ehre und dem Wunsch nach einem selbstbestimmten Weg hat ebenfalls überlebt. Doch im Thalia Theater in der Gaußstraße darf Emilia G. einfach gehen – und hat eine nächste Chance.

Der Prinz von Guastalla verguckt sich in die Bürgerliche Emilia. Seiner standesgemäß-blaublütigen Geliebten Gräfin Orsina ist er überdrüssig. Um die Hochzeit Emilias mit dem Grafen Appiani zu verhindern, lässt er einen Unfall inszenieren, bei dem der Nebenbuhler stirbt und sich das Objekt seiner Begierde wie zufällig in sein Schloss retten kann. Die Eltern der Braut folgen – unterschiedlich in ihrer Haltung gegenüber der Tochter: Während der Vater wie ein Besessener über ihre Unschuld wachen will, könnte sich die Mutter mit einem Prinzen als Schwiegersohn durchaus arrangieren – übertrifft er einen Grafen doch im Adelsranking. Emilia, ja, die hat durchaus auch eine Meinung, aber was galt die damals schon – und wie wenig gilt sie in gewissen Gesellschaften heute. Und immer braucht es einen listigen Handlanger, der sich die Finger schmutzig macht: in diesem Fall den Kammerherren Marinelli. Denn nicht die Prinzenrolle, sondern sein Strippenzieher und ergebener Diener steht im Mittelpunkt des Geschehens.

Jörg Pohl spielt diesen Intriganten großartig, weil nicht eindimensional boshaft, aber eben schleimig genug, um das Mitleid mit ihm im Keim zu ersticken. Wunderbar weltfremd Karin Neuhäuser und Hans Kremer als Brauteltern. Und Franziska Hartmann in der Titelrolle gelingt es, die Gratwanderung zwischen auferlegter Unnahbarkeit und hausgemachtem Gefühlschaos als instabile Balance glaubhaft zu machen. Thomas Nierhaus als potenter Prinz ist für Emilia attraktiv genug, um sie ernsthaft in Versuchung zu führen, aber eben auch so skrupellos, damit die Abschreckung noch greift.

Knapp zwei Stunden dauert die kurzweilige Inszenierung, die sämtlichen Darstellern schwarzes (Kunst-)Haar verordnet, sie in trashige Kostüme steckt und damit teilweise comichaft überzeichnet. Sie bewegen sich wie Fremdkörper im tollen Bühnenbild (Frauke Löffel), das zu Beginn von einem Palindrom ausgeleuchtet wird, einem lateinischen Satz, der vor- wie rückwärts gelesen funktioniert: IN GIRUM IMUS NOCTE ET CONSUMIMUR IGNI – wir irren des Nachts im Kreise umher und werden vom Feuer verzehrt. Mit Grüßen an den verarmten Adel, Bildungsbürger und Kirchengelehrte.

Text: Dagmar Ellen Fischer
Foto: GODOT / Schiller

Hinterlassen Sie einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*