Text: Dagmar Ellen Fischer | Foto: Ellen Coenders
„Nagʼ, nagʼ. Hoppel, hoppel.“ Das berühmte weiße Kaninchen aus dem Buch „Alice im Wunderland“ hoppelt nagend über die Bühne und spricht Comic-Sprache – sofort lachen die Kinder im Publikum! Als es wenig später in seinem Bau verschwindet, folgt ihm nicht nur Alice: Sämtliche Zuschauer ab sieben Jahren tauchen tief in die Geschichte ein.
Ein sprechendes Kaninchen in Eile mit einer Uhr in der Pfote – das hat Alice noch nie gesehen. Und so krabbelt das Mädchen neugierig hinter ihm her und erlebt unterirdisch 50 Minuten lang absurdeste Abenteuer: Zunächst schrumpft Alice auf die Winzigkeit von drei Zentimetern – „das ist eine sehr schöne Größe“, findet die Raupe, die ebenso klein ist. Doch Alice ist unglücklich, weint einen kleinen See voller Tränen, in dem sie als Winzling fast zu ertrinken droht. Nach einer wenig erfreulichen Begegnung mit der Grinsekatze platzt das Mädchen in eine sehr englische Teeparty, auf der ein völlig verrückter Hutmacher sie ständig von einem Stuhl zum nächsten scheucht. Doch erst das Treffen mit der Herz-Königin wird wirklich unangenehm: Nicht genug damit, dass die herrschsüchtige Dame ihre Untergebenen, die Spielkarten Pik 7 und Pik 2, dazu zwingt, sämtliche Rosen rot anzumalen, nein, sie hat auch großen Spaß daran, alle anderen zu piesacken. Mit einem energischen „Kopf ab“ lässt sie ihre Untertanen von der (Karten)Spielfläche verschwinden – und droht Alice Ähnliches an …
Die abenteuerliche Geschichte von Lewis Carroll gehört seit 150 Jahren zur Weltliteratur, unzählige Film- und Theateradaptionen entstanden. Und doch erzählt die freie Hamburger Gruppe „kirschkern & COMPES“ sie auf ganz neue Weise: Judith Compes und Sabine Dahlhaus übernehmen abwechselnd die Rolle der Erzählerin und verwandeln sich spielend in sämtliche Weggefährten von Alice. Beide erschaffen das Wunderland mit Hilfe der verlässlichen Fantasie ihres jungen Zielpublikums, daraus entstehen bekanntlich ganze Universen.
Wenn Alice alias Sabine Dahlhaus von oben herab mit einem Fernglas betrachtet wird, schrumpft sie in den Augen der Zuschauer auf wenige Zentimeter. Und sobald Judith Compes als Herz-Königin den Kaffeewärmer auf dem Kopf und die herzförmige Brille auf der Nase hat, ist sie ebenso lächerlich wie lustig und verliert jegliche Bedrohlichkeit. In der Regie von Karl-Heinz-Ahlers ist eine wunderliche Theaterreise entstanden, die den Alltag tatsächlich draußen, also außerhalb des Kaninchenbaus lässt. Dafür sorgen das maßvolle Bühnenbild von Marcel Weinand ebenso wie die wandelbaren Kostümideen von Renata Kos. Doch vor allem die überbordende Spielfreude der beiden Darstellerinnen, die leichtfüßig zwischen dem Aufgehen in einer Rolle und ruhigem Erzähltheater hin und her springen. Lewis Carroll hätte es gefallen!