Text: Sören Ingwersen | Foto: © Paul Souders/WorldFoto, 6836 16th Ave NE, Sea/Corbis
Acht Männer stehen auf der Bühne des Thalia Theaters, synchron von einer Seite zur anderen schwankend, und philosophieren im Sprechchor über die Farbe Weiß: eine „All-Farbe der Gottlosigkeit“, vor der man sich fürchten müsse. Gemeint ist der weiße Wal Moby Dick. Ein kühnes Unterfangen, den scheinbar unbesiegbaren Leviathan zur Strecke bringen zu wollen. Ein kühnes Unterfangen auch, den 1000 Seiten starken, reflexionsreichen, aber handlungsarmen Roman von Herman Melville in ein Bühnenstück zu verwandeln. Wie soll man, was sich größtenteils in den Gedanken des Ich-Erzählers abspielt, mit theatralen Mitteln bewältigen?
In der Bühnenfassung von Regisseur Antú Romero Nunes und Dramaturgin Sandra Küpper wird der Erzähler zur Stimme des Kollektivs, das keine klaren Trennlinien zwischen den Figuren zieht. Protagonist auf einer ansonsten leeren Bühne ist die Crew des Walfangschiffes „Pequod“. Das könnte anstrengend werden. Wird es auch. Aber nur für die Seeleute, die sogleich in ein heftiges Unwetter geraten. Spritzflaschen sorgen für feuchtes Nass von oben, ein Donnerblech wird geprügelt, ein Windmacher angeschmissen. So sehr die Illusionsmaschinerie hier offengelegt wird, sie funktioniert hervorragend! Panisch kämpfen die Männer gegen das Wasser, das sie selbst in allen möglichen Behältnissen auf die Bühne tragen, das ihnen um die Ohren, auf die nackten Oberkörper klatscht und sie rutschenderweise zu Fall bringt. Man zieht an Tauen, ruft sich Anweisungen zu, versucht zu retten, was zu retten ist. Gerettet ist mit dieser atemraubenden Choreografie – raffiniert ausgeleuchtet von Jan Haas – zumindest schon mal der Theaterabend.
Der düsteren Grundstimmung der Romanvorlage begegnet man im Folgenden mit Humor, etwa wenn Jörg Pohl in einem rund 15-minütigen Monolog die Physiologie des Wals erläutert, während er und die Mannschaft Badevorbereitungen treffen und ihre intimsten Teile genierlich hinter viel zu kleinen Handtüchern verbergen. Oder wenn die Pequod auf ein deutsches Walfangschiff trifft, dessen Kapitän zwar Ansprüche auf das gemeinsam gejagte Meerestier stellt, sich aber allzu schwer mit der fremden Sprache tut: „My English is not the yellow of the egg.“ Immer wieder muss der Fang auch gegen Haie verteidigt werden. Hier, wie bei der hektischen Zerteilung der Beute, sind es die mit Stich und Schnitt emporschießenden Blutfontänen, die das grausige Geschäft der Walfänger auf das reduzieren, was es ist: eine hemmungslose Metzelei.
Man mag bedauern, dass die psychologisch ausdifferenzierten Figuren des Romans – insbesondere der verbitterte, von Hass erfüllte Kapitän Ahab – sich auf der Bühne dem Kollektiv unterordnen müssen. Sie tun dies aber zugunsten einer Idee, die auch schon in der Vorlage steckt: die Schiffsbesatzung als eine Welt im Kleinen und der weiße Wal als eine Chimäre, ein ungreifbares Schreckgespenst, das von Demagogen wie Ahab immer wieder bemüht wird, um eine vom Fanatismus der Massen getragene Autorität zu wahren. Diese Idee wird am Ende der zweieinhalbstündigen Aufführung noch einmal in sehr überraschender Weise aufgegriffen. Wie, soll hier nicht verraten werden. Nur so viel, dass die Bilder, die Regisseur Antú Romero Nunes mit seiner hervorragenden, körperlich bis zum Äußersten getriebenen Riege von Schauspielern in unserem Kopf entstehen lässt, noch lange nachwirken.
Mit Julian Greis, Mirco Kreibich, Daniel Lommatzsch, Thomas Niehaus, Jörg Pohl, Rafael Stachowiak,
André Szymanski und Sebastian Zimmler
Sa. 28.9., Mi. 2.10., Fr. 18.10., So. 3.11., Mo. 18.11., Di. 17.12., Fr. 27.12. und Mi. 22.1., jeweils 20 Uhr
Thalia Theater, Karten: 9,50 bis 48 Euro unter Tel. 32 81 44 44