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Nachruf auf Franziska Steiof

Franziska Steiof
Text: Erik Schäffler / Foto: David Baltzer

Franziska Steiof, Theaterautorin und Regisseurin in Hamburg, hat am Donnerstag, dem 23. Januar 2014, im Alter von 51 Jahren den Freitod gewählt.

Für diesen Nachmittag hatten wir geplant, uns zu treffen: zunächst für ein Gespräch über ein neues Theaterprojekt. Und als sich dieses Projekt im Vorfeld zerschlagen hatte, um einander ein Ohr zu leihen. „Aber nur, wenn Du Kapazität hast“ maile ich. Und sie: „Ja, gerne ein andermal; mir ist lieber, ich hab eine Stunde mehr zum Schreiben.“

Franziska schrieb und inszenierte in diesen Tagen ihr neues Stück „Würmer“ am Jungen Schauspielhaus Hamburg, das geleitet wird von Klaus Schumacher, mit dem sie bald schon ein Leben lang eng befreundet ist. Die Proben liefen bestens: die Kollegen sind begeistert von ihrer Fähigkeit, den Rahmen völlig zu sprengen, den Raum zu öffnen für sehr Persönliches, den Finger gnadenlos in die Wunden zu legen, um dann aber geradezu zärtlich die Energien in nüchterner Analyse wieder aufzufangen, immer im Dienste der Eigenentwicklung des Stückes und seines Themas: „Moderne Erziehung. Bewertung von Menschen. Auto-Evaluation, also Zwangs-Eigeneinschätzung junger Menschen. Konkurrenz.“ Man spricht über weitere Projekte zum Thema „Glück“ oder „Selbstverwirklichung“. Franziska nimmt die Schauspieler in ihrer ganzen Persönlichkeit ernst; nur das Schreiben parallel zum Proben macht halt Druck.

„Druck“ war für Franziska ein gewohnter Zustand. Sie stellte sich jeder Verantwortung, beruflich wie privat, forderte von allen – am meisten von sich selbst – einen klaren Standpunkt, klare Äußerungen: Klärung. Unfassbar viele Menschen begleitete sie, erneut in beiden Welten, durch die problematischsten Situationen. Und stand ihre „Frau“. Und kam oft selbst dabei zu kurz.

Franziska hatte eine sehr unglückliche Kindheit. Einen Start mit schlechtesten Voraussetzungen. Sie hat sich selbst an den Haaren aus diesem Sumpf gezogen. Kraft ihrer Analysefähigkeit, ihrem Mut, sich und der Wahrheit ins Gesicht zu sehen. Kein Wunder, dass sie sich zu einer angesehenen und sehr erfolgreichen Seminarleiterin und Coach für Schauspieler, Banker und andere Firmenunternehmen entwickelte. „Hier wie dort hinterließ ihre intensive Arbeit beeindruckte, seelisch bereicherte und zum Leben ermunterte Menschen“ zitiere ich die Berliner Zeitung, weil ich es nicht besser formulieren kann.

Vor allem aber war sie Theatermacherin. Sie begann im Werftparktheater Kiel und machte sich bald bundesweit einen Namen: am Grips-Theater in Berlin, am Schauspielhaus Düsseldorf, zuletzt am Deutschen Schauspielhaus Hamburg, lehrte am Mozarteum in Salzburg. Sie schrieb mindestens fünfzehn Stücke. Dabei war sie Weltenwanderin zwischen Kinder-/Jugend- und Erwachsenentheater, zwischen Freier Gruppe und Staatsbetrieb. Sie errang einige Preise, alles egal: wichtig waren ihr die Inhalte, die Geschichten. Wichtig waren der Spaß, die Ernsthaftigkeit, die Unbedingtheit. Sie brannte an beiden Enden. Und die Niederlagen waren ihr wichtig. Den Schrott hat sie durchdrungen und daraus gelernt.

Mit der Freien Theatertruppe „Deichart“, in Koproduktionen mit dem Werftparktheater Kiel, schuf sie sich 2002 mit großem Erfolg ein Forum und eine Heimat, wo sie ihre Visionen und Verrücktheiten, ihre Anarchie und auch ihre Gnadenlosigkeit voll ausleben konnte: „Schwitzende Männer im Schuhgeschäft“, „Schimmelreiter“; und mit „Kohlhaas“ lockte immer wieder Kleist, der Dichter der unbedingten Freiheit, der den Freitod als die äußerste, die wirklich einzige Freiheit des Menschen ansah.

Vorher war sie feste Regisseurin bei der preisgekrönten Hamburger Theatergruppe „Triebwerk“ und verhalf mit ihrer fulminanten „Heinrich der Fünfte“-Inszenierung – als eine der zehn bemerkenswerten Theaterereignisse des Jahres 1997 – zu einer Einladung zum Kinder- und Jugendtheaterfestival Berlin und über das Goethe-Institut zu einer sechswöchigen Tour durch Indien.

Ich habe sechs Stücke mit ihr gemacht. Drei damals bei „Triebwerk“. Wir trennten uns ungut. Die Versöhnung zehn Jahre später ging von ihr aus: unsere letzten drei Produktionen am Schauspielhaus Hamburg waren für mich die schönsten: „Darüber reden“ von Julian Barnes mit Achim Buch, „Der Fuchs, der seinen Verstand verlor“ und die „Hafenballade“ von Michael Batz.

Wir spielen „Darüber reden“ und den „Fuchs“ weiter. Achim schreibt mir: „Ich hoffe, etwas von Franziskas kluger und erderwärmender Arbeit fortführen zu können. Mehr wollte sie nicht. Und wenn wir wach genug sind, werden wir merken, wie oft und freundlich sie sich meldet…“

Mir kommen so viele Worte von ihr zurück. Ihre Begeisterung, als sie mich in einem Rolleninterview nach dem Motto meiner Figur befragt: „Mach‘ es JETZT!“ sage ich. – „Was?“ lacht sie, „das ist Dein Motto? Das wird ab jetzt MEIN Motto sein“.

Sie war neidisch, wenn ich in finanziell schwierigen Phasen einfach in Urlaub fuhr. Sie hat sich in solchen Zeiten mit Arbeit beladen.

Franziska sagte: „Selbst wenn wir uns alleine in einem Raum befinden, gibt es ein System, in dem wir uns bewegen. Ich finde das zutiefst hoffnungsvoll: Wenn wir etwas verändern, dann verändert sich alles.“ Ihr Thema war „Veränderung“: raus aus dem Sumpf. Sie hasste nichts mehr als die öde Zementierung des gedanklichen Status quo.

Es ist erstaunlich, wie vielen Menschen Franziska geholfen hat. Mit wie vielen Menschen sie befreundet war. Aber sie selbst blieb wohl innerlich allein. Auf Proben hat sie Schauspieler in ihren Rollen eigene „Grabesreden“ halten lassen: was macht den Menschen aus; wie schätzt er sich selbst ein, und was denkt dagegen der in Bezug zu ihm stehende Rollenpartner über ihn.

Meine jetzige Grabesrede wird ihr kaum gerecht. Franziska hat ein riesiges Loch in die Wirklichkeit gerissen. „Der Freitod ist die einzig wirkliche Freiheit.“ – Vielleicht hat sie ihn mit einem Gefühl der Erleichterung gesucht. Ihre letzte Inszenierung „Die Regentrude“ läuft wiederum im Werftparktheater. In Kiel wuchs sie auf. Diesen Ort wählte sie für ihre letzte Lebensstunde. In Kiel wird sie am 7. Februar beerdigt.

Franziska, ich vermisse Dich. Und ich bin nur einer.

Erik Schäffler, Schauspieler, Regisseur und Wegbegleiter

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