Text: Stephanie Schiller | Foto: Godot/Schiller
Wir sind mittendrin in der Odyssee. Orkane fegten uns vom Sommer in den Herbst. Das HoheLuftschiff nimmt weiter Fahrt auf. Bevor Odysseus ins Weltall reist, gibt es drängende Fragen, die hier auf der Erde geklärt werden müssen. Telemachos macht sich auf die Suche – nach seinem Vater Oddy, dem Frontsänger einer einst erfolgreichen Band. Was ist Kindern eigentlich lieber: wenn Väter Helden sind, oder wenn Väter einfach Väter sind – und dafür öfter mal auch zu Hause?
Wenn Kinder und Jugendliche selbst Theater machen, wird meistens wirklich gutes Theater daraus. Auf dem HoheLuftschiff stellen die Schüler der Theaterschule Zeppelin dies einmal mehr unter Beweis. Homers Odyssee ist ja nicht gerade einfache Kost, wenngleich von allen großen Theatermachern als Herausforderung angenommen und umgesetzt. Versuchsweise. Die Hamburger Variante – aus der Odyssee eine Theaternovela, ein Fortsetzungsstück zu machen – ist auch für die Zuschauer eine Herausforderung. Fast im Wochentakt finden die Premieren statt. Gesang nach Gesang findet sich im Alltag heutiger Jugendlicher wieder. Odysseus wird zur Metapher. Ein Mann – ein Bild. Und dieses Bild taucht hinterfragt immer wieder auf.
In der Bearbeitung von Regisseur Dimitri Ostroglad ist Telemachos der pubertierende Sohn von Odysseus. Besser: Oddy. Der Frontsänger der einst legendären Band Troyan Horse ging irgendwann auf Tour – und kam bis heute nicht nach Hause zurück. Telemachosʼ Mutter wurde darüber verrückt. Der Sohn zweifelt. An sich, an seinem Vater, an sich. Immer abwechselnd, immer weiter. Er hätte so gern Gewissheit. Oder wenigstens ein paar Antworten auf ein paar Fragen. Die große nach dem Warum zum Beispiel. Warum kam der Vater nicht wieder, warum mag er ihn nicht, warum sehnt er sich nicht nach ihm, wie Telemachos sich nach seinem Vater sehnt? Einige Fragen versucht Athene zu beantworten, einst die Göttin der Weisheit, jetzt Bardame in einem etwas heruntergekommenen Etablissement. „Annehmen, aufnehmen, loslassen“, liest sie dem 17-Jährigen aus der „Bergpredigt des Körpers“ vor. Und ihr guter Rat an Telemachos: „Die Liebe Deines Vaters ist in Dir.“ Das ist leichter gesagt als empfunden. Zum Ausgleich leiht Athene dem suchenden Telemachos ihr Motorrad, damit der sich endlich wirklich auf den Weg machen kann.
Doch Telemachos hat Pech: Er legt sich ausgerechnet neben die Gleise schlafen, über die ein Atomtransport rollen soll, und wird als Aktivist festgenommen. Das gefällt Peace und Polly, zwei Jugendlichen in Telemachosʼ Alter und – was viel gewichtiger ist: Sie sind die Kinder des früheren Troyan-Horse-Drummers. Ist Telemachos endlich am Ziel? Bevor er das herausfinden kann, verunglückt er mit Athenes Motorrad und verliert sein Gedächtnis. Wie kann einer, der sucht, finden, wenn er nicht einmal mehr weiß, wonach er sucht? Die Probleme werden nicht weniger.
Telemachos setzt seine Reise fort. An einer Tankstelle hat ausgerechnet der Tankwart ein Ohr für Telemachosʼ Sorgen. „Wohin die Reise geht“, sagt er, das müsse man eben oft erst während der Reise herausfinden. Beim Anblick des Tankwarts fällt Telemachos immerhin dies wieder ein: „Ich suche meinen Vater.“ Der Tankwart wünscht ihm Glück – und fühlt sich an seine eigene Geschichte erinnert, denkt an den Sohn, den er einst zurückließ, seinen Erfolg, seinen Absturz. Er schweigt. Im Hintergrund spielt unaufhörlich The Troyan Horse: „Stell Dir vor / Du hättest keine Angst mehr / vor nichts und vor niemandem / nie wieder allein!“ Die Odyssee, so viel steht fest, geht weiter! Jugendtheater, das Spaß macht, Witz hat und mitunter sogar weise ist. Man wünscht den Jugendlichen zu ihrem Talent und ihrer Spielfreude und ihren fantasievoll umgedeuteten Requisiten, dass die auch bis zum Schluss durchhalten …
Die nächste Premiere findet am 9.11. (16 Uhr) auf dem HoheLuftschiff statt. Frei nach Homers 5. Gesang trifft der Seefahrer dann im Weltall ein, um bei der Beschaffung neuer Käserohstoffe zu helfen … „Odysseus im Weltall“ ist auch noch an folgenden Tagen zu sehen: 10.11. (16 Uhr), 14.11. (10 Uhr), 16.11. (16 Uhr).