Text: Dagmar Ellen Fischer / Foto: G2 Baraniak
Massenarmut, Prügelstrafe und Kinderarbeit — Alltag im England des 19. Jahrhunderts. Auch Waisenkind „Oliver Twist“ erfährt das, Charles Dickens beschrieb sein Schicksal im berühmten gleichnamigen Roman aufs Drastischste. Keine leichtgängige Unterhaltung also, aber Christian Berg gelingt es als Autor und Regisseur, den komplexen Stoff in seinem zweieinhalbstündigen Familienmusical so aufzubereiten, dass die Uraufführung am Wochenende im Harburger Theater mit Standing Ovations gefeiert wurde!
Als Neunjähriger wird Oliver Twist vom Armenhaus als billige Arbeitskraft an einen Bestatter verkauft, von dort flieht er und versucht, sich auf den Straßen Londons durchzuschlagen. Bald gerät er an den zwielichtigen Fagin, der eine Bande Kinder durchfüttert, so lange sie ihm täglich Diebesgut liefern. Nur kurz gehört Oliver zu ihnen, dann wird er von einem reichen, kinderlosen Mann aufgenommen. Doch Fagin will seinen Schützling nicht so einfach gehen lassen … In diese zum Fürchten boshafte Rolle des vermeintlichen Kinderverstehers schlüpft Berg selbst. Dass er — neben sprechenden Handpuppen — auch als Erzähler auftaucht, lässt die düstere Geschichte auch für junges Publikum funktionieren und relativiert das gespielte Elend. Außerdem sorgen die recht rockigen Kompositionen von Konstantin Wecker immer wieder für eine hoffnungsvolle Atmosphäre, in der Oliver träumt, „dass man auch ohne Geld in ein Himmelbett fällt“.
Großartig der Bezug zum Hier und Jetzt: Oliver Twist weiß, wie es ist, kein Dach über dem Kopf zu haben, so wie Tausende von Flüchtlingen heute. In einem Ausblick auf die Zukunft der Welt versichert der Erzähler: Vieles werde besser im 21. Jahrhundert, Massenarmut, Prügelstrafe, Kinderarbeit — alles wurde abgeschafft. Aber die Not der Flüchtlinge …? Ein Musical, das berührt.
Aufführungen bis 4.10., div. Zeiten, Harburger Theater, Museumsplatz 2, ab 18,46 Euro, Tel. 33 39 50 60