Text: Tilla Lingenberg | Foto: vierhuff theaterproduktion
Schorschi kommt auf die Bühne in zu großen Hosen und einem rot-schwarz-gestreiften Pulli mit zu langen Ärmeln und stellt fest: „Meine Kleider passen mir nicht mehr, ich glaube ich bin geschrumpft.“ Er setzt sich auf den zu hohen Stuhl, an den übergroßen Tisch und versucht, mit einem zu großen Löffel seine geliebten Haferflocken zu essen. Das sieht drollig aus und das Publikum kichert. Dann kommt die Mutter und merkt überhaupt nicht, wie sich ihr einziger Sohn abmüht. Sie denkt nur an das Gelingen ihres Kuchens, den sie gerade backt. Auch der Vater sieht nicht hin, ermahnt den Sohn nur, gerade zu sitzen, was dieser brav versucht. Auf Schorschis Bemerkung, er schrumpfe, gehen sie beide nicht ein, und er darf noch vor der Schule fernsehen. Er erzählt freudig, er hat 56 Lieblingssendungen. Schorschi erzählt auch von den vielen Gewinnspielen und Gutscheinen in Haferflockenpackungen, auf die er ganz scharf ist.
Jeden Tag wird Schorschi nun kleiner, aber niemand registriert es, niemand interessiert sich für Schorschi. Der Schulbusfahrer, der Klassenkamerad, die Lehrerin und der Direktor haben für den bald auf eine 50-Zentimeter-Puppe geschrumpften Schorschi nur leere Redensarten übrig. Es ist erschütternd zu beobachten, wie wenig dieser Junge wahrgenommen wird. Als Schorschi 10 Zentimeter klein auf dem Tisch sitzt (wie kommt er da hinauf?), übersehen ihn seine Eltern und machen sich verbal nun doch Sorgen über sein Ausbleiben. Irgendwann hören sie Schorschi rufen, sehen ihn und schicken ihn ins Bett. Kein Wundern über seine Größe. Nichts. Der Schauspieler Schorschi nimmt die Puppe Schorschi einfach vom hohen Tisch und geht.
Zufällig findet nun dieser winzige Schorschi selbst heraus, dass sein Kleinerwerden an einem gewonnenen Haferflocken-Packung-Spiel liegt, was er nicht zu Ende gespielt hat. Deshalb spielt er dieses Brettspiel schnell und wächst wieder auf seine normale Größe. Ach so …
Außer Schorschi, emphatisch und überzeugend dargestellt von Christopher Weiß, sind alle weiteren Figuren übergroße Puppen, die abwechselnd von ihrem Erbauer Florian Brandthorst gespielt werden.
Doch warum spielen sie dieses Stück nach einem Kinderbuch der Amerikanerin Florence Parry Heide, das vor fast 50 Jahren erschienen ist? Eine Geschichte voll amerikanischer (Geschlechter-)Klischees? Darauf gibt die Inszenierung keine Antwort. Im Gegenteil. Die Geschichte wird von Regisseur Gero Vierhuff weder historisch verankert oder eben aktualisiert und künstlerisch so bearbeitet, dass sie zu einer zeitgemäßen Geschichte wird.
Alle Erwachsenen sind hier komplett überzeichnet und in ihrer Ignoranz gegenüber einem leidenden, auf sich selbst gestellten Schorschi befremdend. Das ist heutzutage, im Helikopter-Eltern-Zeitalter, merkwürdig und für Kinder möglicherweise sogar beängstigend, weil komplett fremd.
Auch ist die Dramaturgie löchrig und im Puppenspiel widerspricht sich die Inszenierung mehr als einmal. Zum Beispiel haben Mutter- und Vaterpuppe Ständer, in die sie vom Spieler gesteckt werden können, um beide abwechselnd zu spielen. Trotzdem übernimmt plötzlich, und lediglich einmal kurz, Christopher Weiß die Mutterpuppe, in einer Szene in der er gleichzeitig Schorschi spielt.
Oder als Schorschi bereits eine 10 Zentimeter kleine Puppe ist, erzählt dieser dem Publikum, er wäre noch kleiner geworden und musste deshalb aus dem Bett springen. Was sonst, bei dieser Körpergröße und einem normalgroßen Kinderbett?
Dazu die unbefriedigende Auflösung des Schrumpfdramas: Spiele einfach ein Gratis-Werbe-Brettspiel zu Ende. Also holt der 10- Zentimeter-Schorschi das Spielbrett, welches zur Schorschi-Puppe ein Größenverhältnis hat wie ein Fußballfeld zu einem Fußballspieler, einfach herbei und spielt los.
Die Handlung in diesem Stück bleibt rätselhaft unlogisch und darum lässt dieses Theatererlebnis kleine und große Zuschauer unbefriedigt und voller Fragen zurück.